Unterdrückung, Landraub und Armut – die Proteste der Mapuche in Chile

Wie muss sich das anfühlen, in seinem Land als Volk nicht anerkannt zu sein? Wie ist das, von seinem eigenen Land vertrieben zu werden? Und wie fühlt es sich an, trotz Demonstrationen nicht gehört zu werden? All das erleben die Mapuche in Chile seit vielen Jahren. Unterdrückung, Landraub und Armut – das treibt die Mapuche auf die Straße. Doch am 12. Oktober 2021 verhängte der chilenische Präsident Sebastián Piñera den Ausnahmezustand im Süden des Landes. Ein nicht ganz unbedeutendes Datum: am 12. Oktober 1492 erreichte Christopher Kolumbus Amerika. Dieser Tag ist in Chile sogar als „Tag der Begegnung zwischen zwei Welten“ ein gesetzlicher Feiertag. Doch für die vielen indigenen Völker, die bereits vorher auf dem Kontinent lebten, ist dieser Tag alles andere als ein Grund zum Feiern. Welche Hintergründe gibt es zu den Demonstrationen der Mapuche und was bedeutet der Ausnahmezustand nun für die Menschen?

Die Mapuche

Die Mapuche leben in den zentralen und südlichen Teilen Chiles sowie im angrenzenden Argentinien. Schätzungen zufolge leben zwischen 800.000 und 1,4 Millionen Mapuche in Chile, die so einen Anteil von rund 9 Prozent an der Bevölkerung ausmachen. Sie sind damit die größte ethnische Minderheit des Landes. Der Name Mapuche bedeutet so viel wie „Menschen der Erde“. Sie pflegen eine enge Verbindung zu ihrem Land, was einen großen Teil ihrer kollektiven Identität ausmacht. Ihr Land hat für sie neben dem Lebensunterhalt auch eine große Bedeutung in Gedenken an ihre Ahnen.

Ihre Geschichte

Nach der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus konnten sich die Mapuche zu Beginn noch gegen die Inka und die Spanier wehren. Im Vertrag von Killin wurde den Mapuche 1641 sogar territoriale Autonomie zugesprochen. Doch zwischen 1879 und 1884 wurden die Mapuche von Chile bei der Rückeroberung der Wüste verfolgt, von ihrem Land vertrieben und getötet. Die Lage verschlimmerte sich zwischen 1973 und 1990 nochmal unter der Pinochet-Diktatur: Das Land der Mapuche wurde flächendeckend ausgebeutet und enteignet und die Mapuche in kleine Reservate zurückgedrängt. Heute leben viele Mapuche in Armut, sind stark unterrepräsentiert in Wirtschaft und Politik und haben schlechtere Bildungschancen. Gerade viele Kinder der Mapuche leiden unter den Armutsverhältnissen, die Zahl der Kinderarbeit ist im Zuge der Corona Pandemie wieder gestiegen.

Die Frage nach Besitzrecht

Auch wenn die Mapuche kein homogenes Volk sind, sind sich viele in ihrer Forderung nach Selbstbestimmung und das Recht auf ihr Land einig. Das treibt auch die aktuelle Protestbewegung an. Rechtlich berufen sich die Mapuche dabei auf die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Darin sind die Rechte indigener Völker klar geregelt: Unter anderem ist die Regierung eines Landes verpflichtet, die Rechte der indigenen Bevölkerung zu schützen und sie auch in Entscheidungsprozesse über Land miteinzubeziehen. Chile hat diese Konvention sogar unterzeichnet, umsetzen tut sie sie jedoch nicht. In der Konvention ist auch das Recht auf „von Alters her besiedeltem Land“ festgeschrieben, Staat und betroffene Unternehmen beharren jedoch auf bestehende Besitzrechte und den damit verbundenen Zugriff auf natürliche Ressourcen, die essenziell für die Holz- und Zellulosewirtschaft in Chile sind.

Die aktuelle Protestbewegung

In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu zahlreichen Demonstrationen. Es gibt viele friedliche Proteste, Straßenbarrikaden oder Landbesetzungen. Doch es werden auch Scheunen und Ernten angezündet oder Brandanschläge auf LKWs für den Transport von Holz verübt. Auch Schusswechsel können dabei vorkommen. Dabei geraten Demonstrierende immer wieder mit der Polizei und dem Militär aneinander, Tränengas und Gewalt werden eingesetzt, umstrittene Verhaftungen durchgeführt. Am 10. Oktober diesen Jahres kam eine Frau beim „Aufmarsch für den Mapuche-Widerstand und die Autonomie der Völker“ in Santiago de Chile durch einen Polizeieinsatz ums Leben.

Und dann, am 12. Oktober, verhängte der Präsident den Ausnahmezustand. Ob das Datum nun bewusst gewählt wurde oder einfach nur ein Zufall war, bleibt wohl offen für Spekulation. Anstatt auf den Konflikt einzugehen und den Ausnahmezustand so zu begründen, liefert Piñera eine andere Erklärung: „Der Ausnahmezustand dient dazu, Terrorismus, Drogenhandel und organisierte Kriminalität besser zu bekämpfen und ist in keinem Fall gegen ein Volk oder eine Gruppe friedlicher Bürger gerichtet“. Glauben tut das wohl keiner so wirklich. Der Ausnahmezustand hat dabei für die Regierung vor allem den Vorteil, dass die Polizei und das Militär gemeinsam agieren dürfen, außerdem ist die Versammlungsfreiheit stark eingeschränkt. Der Ausnahmezustand gilt vorerst für 15 Tage, kann nach Zustimmung des Kongresses aber für weitere 15 Tage verlängert werden. Dieser politische Zug lässt eine Zuspitzung des Konflikts in den kommenden Wochen befürchten.

Ihr wollt mehr erfahren?

Mehr zu den aktuellen Geschehnissen in Chile könnt ihr in diesem Artikel der taz oder hier von der Süddeutschen Zeitung erfahren. In einer Podcastfolge von Hörpunkt Lateinamerika von September 2020 wird der Mapuche-Konflikt genauer erklärt und mit Lateinamerika-Expertinnen und -Experten über die Hintergründe gesprochen. Viele Parallelen gibt es auch zu der Situation der Zapatistas aus Mexiko, von denen wir vor kurzem in einem Blogbeitrag berichtet haben. Wir sind in diesem Beitrag auch kurz auf Kinderarbeit in Chile eingegangen. Darüber wollen wir bald nochmal genauer berichten, also haltet die Augen offen.

Was sagt ihr zu dem Konflikt mit den Mapuche? Wusstet ihr davon oder kennt ihr ähnliche Vorkommnisse aus anderen Ländern?

-Leah-


Das Foto stammt von Vocería de Gobierno auf Flickr.com und zeigt Mapuche mit ihrer Flagge. (CC BY-SA 2.0) 

No Comments

Post A Comment