04 Okt 2019 Der Zuhör-Kiosk
Könnt ihr euch vorstellen, dass jemand freiwillig und unentgeltlich seine Zeit aufopfert, nur um anderen Menschen zuzuhören? Nein? Konnten wir auch nicht, bis wir vom Zuhör-Kiosk mitbekommen haben!
Christoph Busch ist ein 71-jähriger ehemaliger Taxifahrer, Antiquitätshändler, Drehbuchautor und jetzt Zuhörer des Zuhör-Kiosks „Das Ohr“, in Hamburg in der U2 Bahnstation – Emilienstraße. Er eröffnete den Kiosk im Januar 2018 mit der Absicht, ihn nach 5 Monaten wieder zu schließen. Doch die Tür des „Erzählkiosks“ steht jedem noch immer offen. Die Nachfrage ist so hoch, dass der Zuhörer, Christoph Busch, mittlerweile Termine vergibt und ein Team mit weiteren Zuhörer*innen aufgebaut hat.
Es ist sicherlich für viele überraschend (und extrem rar), dass jemand freiwillig und ohne Entgelt seine Zeit für andere opfert, nur um ihnen zuzuhören. Deshalb die Frage:
Warum hört er zu?
Anfangs wollte Christoph Busch den Kiosk einfach nur mieten, um ungestört sein nächstes Buch schreiben zu können. Doch nach einer Weile kam er ins Gespräch mit seinen Mitmenschen und mit der Zeit entwickelte sich der ursprüngliche Zufluchtsort für Busch zu einem Zufluchtsort für die Menschen. Jede Geschichte, die er zu hören bekommt, kennzeichnet er mit dem Namen, der Adresse und dem Foto des Erzählers. Denn all die Geschichten, die er seit fast einem Jahr sammelt, möchte er am Ende in ein Buch bündeln.
Warum ein Unbekannter und nicht ein*e Therapeut*in?
Manche möchten vielleicht einfach nur ein gewisses Erlebnis oder eine Geschichte loswerden und sehen das Ganze als einmalige Sache an. Doch es gibt genügend Erzähler*innen, die den Zuhör-Kiosk jede Woche besuchen. Da stellt sich natürlich die Frage: Warum bevorzugen die Menschen eine unbekannte und fachfremde Person als Gesprächspartner, statt eine*n Psychotherapeut*in aufzusuchen?
Abgesehen davon, dass jede Person individuelle Gründe für ihr Verhalten hat, könnte der Zuhör-Kiosk als Probe dienen. Es gibt bestimmt reichlich Menschen, die über Psychotherapie nachgedacht haben, aber sich nicht überwinden konnten es wirklich in Angriff zu nehmen. Daher ist der Zuhör-Kiosk vielleicht eine gute Einstiegshilfe. Doch Christoph Busch erklärt auch: „Ich bin kein Therapeut, ich rede einfach mit den Leuten“ und „Ich kann Sachen sagen, die ein Therapeut sich niemals auszusprechen erlauben dürfte“. Vielleicht unterscheidet ihn ja genau das von einem*r Therapeut*in. Vielleicht zieht das Gespräch mit einem Fremden die Menschen an, weil es „persönlich-unpersönlich“ ist. Busch ist mehr Freund als Therapeut, bleibt aber trotzdem ein Fremder. Hinzu kommt noch, dass sich alles im Untergrund in einem alltäglichen Umfeld abspielt, mit einem X-beliebigen Menschen und alles daher lockerer und ungebundener ist als in einer Therapiepraxis.
Einsamkeit
Manchmal möchte man mit einer wildfremden Person über alles reden, was eine*n bedrückt. Geheimnisse beichten, Trauer oder auch Glücksmomente teilen. Einfach die eigene Geschichte erzählen. Nicht jede*r hat die Möglichkeit, Freunde und/oder Familie als Vertrauenspersonen zu haben. Auch wenn, gibt es vielleicht Dinge, die man niemandem erzählen kann. Sei es aus der Angst von den Engsten verurteilt zu werden oder aus einem anderen Grund. Psychotherapie oder Beichtstuhl sind zwar bekannte Optionen.
Aber der Zuhör-Kiosk kommt einem außergewöhnlich vor, obwohl Zuhören eigentlich etwas Simples ist, oder? Der Zuhör-Kiosk zeigt uns, wie sehr sich die Menschen voneinander entfernt haben. Obwohl wir ständig von Menschen umgeben sind, ist das Zuhören nicht mehr selbstverständlich. Wir hören nicht mehr zu, um unser Gegenüber zu verstehen, oder weil wir Interesse an dem Erzählten haben, sondern nur weil wir antworten wollen. Wir wissen nicht, was jede*r Einzelne in seinem Leben erlebt, wie das Leben uns zeichnet. Die Resonanz und die hohe Nachfrage der Menschen nach einem unbekannten Gesprächspartner und Zuhörer zeigt uns aber wie einsam sich viele fühlen müssen.
Doch um zur Anfangsfrage zurückzukommen: Würdet ihr in einem zweckentfremdeten Kiosk sitzen und einem unbekannten Mann eure Geschichte erzählen wollen? Ich kann von mir behaupten, dass ich definitiv das Gespräch suchen würde, egal ob fünf Minuten oder fünfzig. Wie findet ihr die Idee? Würdet ihr das Geschichtenbuch kaufen? Teilt und kommentiert den Artikel und wer weiß, vielleicht setzt sich die Idee ja auch in anderen Städten durch?
Beitragsbild: Photo by Christoph Busch on Zuhör-kiosk.de
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