Wütende Männer gegen toxische Männlichkeit

„Man up, sit down
Chin up, pipe down
Socks up, don’t cry
Drink up, don’t whine
Grow some balls, he said
Grow some balls“

Auf der Oberfläche mögen sie vielleicht wie eine zusammengewürfelte Gruppe von Durchgeknallten anmuten, die mit ihren Instrumenten den größtmöglichen Lärm zu dem Neandertaler-artigen Gesang von Sänger Joe Talbot beisteuern wollen. Doch hört man genauer hin, bemerkt man die einsichtsvollen Texte, die die musikalische Wut und den Schmerz begleiten, die im Endeffekt nur von einem Platz der Liebe stammen. Joe Talbot beschrieb ihren musikalischen Klang als „liebevolle Gewalt“.

IDLES sind eine Punk-/Post-Punk-Band aus Bristol, die sich in ihren Texten oft mit toxischer Männlichkeit auseinandersetzen. Joe Talbot hat in vielen Interviews die Folgen von toxischer Männlichkeit kritisiert, deren Verhaltensweisen schon kleinen Jungen eingebläut werden. Als seine Inspiration zitiert er gerne das Buch „The Descent of Man“ von Grayson Perry, in dem es um das vorherrschende Männlichkeitsbild geht und warum dieses überholt werden muss. Talbot geht vor allem immer wieder auf die Unfähigkeit von toxischen Männern ein, Hilfe anzunehmen oder sich Hilfe zu suchen, weil ihnen von Kindheit an beigebracht wird, dass sie ohne Hilfe alleine klarkommen müssen. Talbot zieht hier eine Verbindung zu der Suizidrate von Männern, welche deutlich höher ist als die von Frauen: „(…) isolation. Not talking about how you feel. It kills men (…)“

Doch was ist toxische Männlichkeit?

Toxische Männlichkeit taucht als Begriff weitverbreitet seit 2017 auf, um eine Charakterschwäche mancher Männer zu beschreiben. Die möglicherweise erste Definition von toxischer Männlichkeit (oder: toxischer Maskulinität) lieferten David und Brannon 1976, als sie toxische Männlichkeit in diese vier Grundpfeiler aufteilten:

  1. Kein Sissy-Zeug: ein Stigma auf allen stereotypisch weiblichen Charakteristika und Qualitäten, einschließlich Offenheit und Verletzlichkeit
  2. Das große Rad: Erfolg, Status und das Bedürfnis, dass andere zu einem hoch schauen
  3. Die unbeugsame Eiche: eine männliche Aura von Zähheit, Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit
  4. Mach ihnen die Hölle heiß!: die Aura von Aggression, Gewalt und Wagemut

Heutzutage haben sich diese Anforderungen etwas, aber nicht sehr verändert. Toxische Männlichkeit wird weiterhin charakterisiert durch Verachtung gegenüber Frauen und allem weiblich Konnotierten, eine Ablehnung Hilfe anzunehmen, was sich auch auf mentale oder medizinische Probleme erstreckt, einen ungesunden Wettkampfgeist gegen sich selbst und andere Männer, Scham und dementsprechende Unfähigkeit Schwäche zuzugeben sowie Gefühle zuzulassen, riskantes und aggressives Verhalten, schlechte Konfliktlösungstechniken, den gefühlten Drang nach Status und Macht streben zu müssen, die Ansicht hart und dominant wirken zu müssen und ungesundes, riskantes Verhalten. Das sind nur ein paar der Folgen von toxischer Männlichkeit.

Keine Angst Schwäche zu zeigen

IDLES spielen auch in ihrem Auftreten mit Kontrasten: Teile der Band tragen große Bärte, dazu treten sie aber regelmäßig in Abendkleidern auf. Ihre Musik ist laut und brutal, doch zeigen die Männer offen Zuneigung untereinander und ihre teils von der heterosexuellen Norm abweichenden Sexualitäten werden nicht verheimlicht. Auch sonst treten sie in ihrem Verhalten für alternative Männlichkeiten ein: Sie sprechen in Interviews über vergangene Probleme mit Abhängigkeiten, selbstzerstörerischen Lebensphasen, in Liedern werden Depressionen und Angststörungen thematisiert. Sänger Joe Talbot sprach offen darüber, wie er Musik als Verarbeitung von Trauer verwendet hat. In „Slow Savage“ gesteht er sich ein, wie schlecht er seine Ex-Freundin behandelt hat. In anderen Liedern des letzten Albums „Crawler“ wird das Thema Trauma und Traumaverarbeitung behandelt.

IDLES sind Vorbilder für eine alternative Männlichkeit. Sie zeigen, dass Männer sich nicht wie gefühllose, harte Steine verhalten müssen, sondern ihre Gefühle zulassen und über ihre Probleme sprechen können. Gleichzeitig richten sie ihre Wut auf toxische Männlichkeitsbilder und schreien sie ihnen ins Gesicht. Wie lautet die Leitlinie der Band? „Love yourself.“

Von Jakob Brenn


Bildrechte: Tom Ham

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