Mensch Westend / Straßenfest Blücherstraße / Wohngenossenschaft "Blü 17" und Cfaé Anderswo organisieren / Foto: Erdal Aslan

Wie sieht das Leben in einem Wohnprojekt aus? Ein Interview zum Wohnen in der Blü17


Der heutige Blogbeitrag ist etwas anders konzipiert als üblich. Als Ergänzung zum Artikel über alternatives Wohnen habe ich Kati, die Teil der Redaktion ist, ausgefragt über das Wohnprojekt, in dem sie lebt. Bei dem Wohnprojekt handelt es sich um die „Blü17“ der Genossenschaft „Gemeinschaftlich Wohnen eG“, die 20 Wohnungen umfasst und zwischen 40 und 50 Menschen zählt.  Kathi wohnt dort mit ihrem Mann und zwei Kindern, ein drittes ist unterwegs.

Mich interessiert vor allem, wie sich das Leben in einem Wohnprojekt gestaltet, was sich für eine Familie ändert und welche Motivation hinter der Entscheidung, dort einzuziehen, steht. Aber auch welche Strukturen dort bestehen und wie alles organisiert ist. Mit dem Interview möchten wir zeigen, wie alternatives Wohnen in Wirklichkeit aussehen kann.

  1. Wie seid ihr auf die Idee gekommen in das Wohnprojekt einzuziehen?

Wir haben beide seit dem Auszug aus unseren Elternhäusern in Gemeinschaft gelebt, zuerst in Studi-WGs und dann in einer Familien-WG. Nachdem diese sich aufgelöst hatte – und wir zum ersten Mal ganz klassisch als Kleinfamilie in einer Mietwohnung lebten – wollten wir gerne wieder in eine Gemeinschaft. Das anonyme Nebeneinander-her-leben war nicht unser Ding, und wir sind auch überzeugt davon, dass es für Kinder toll ist, mit vielen (unterschiedlichen) Menschen aufzuwachsen.

  1. Wo habt ihr davon erfahren? Habt ihr schon länger nach solch einer Chance Ausschau gehalten?

Ich hatte immer mal wieder online recherchiert, was es so gibt in unserer Region. Eines Tages fand ich dann durch Zufall die Wohnungsanzeige des Wohnprojektes im Internet auf einer Immobilienseite. Ich war ganz überrascht, dass eine solche Wohnung inseriert wird und nicht „unter der Hand“ weggeht, und habe sofort dorthin geschrieben.

  1. Was musstet ihr machen, um in das Wohnprojekt einziehen zu dürfen? Gab es rechtliche Rahmenbedingungen, die ihr erfüllen musstet? Wie ist das Projekt organisiert?

Bei unserer Gemeinschaft handelt es sich um ein genossenschaftliches Wohnprojekt. Das heißt, um einzuziehen, muss man Genossenschaftsanteile kaufen: einen Pflichtteil und nochmal einen bestimmten Betrag pro Quadratmeter Wohnfläche. Ausgenommen sind öffentlich geförderte Sozialwohnungen, hier muss man nur den Pflichtteil zahlen. Um eine solche Wohnung zu bekommen, braucht man einen Wohnberechtigungsschein, das heißt, man muss beweisen, dass man nur über ein niedriges bzw. mittleres Einkommen verfügt.

Alle Genossinnen und Genossen haben in der Genossenschaft jeweils eine Stimme, egal, wie viele Anteile sie gekauft haben. Das heißt, alle können mitbestimmen und an Entscheidungen teilhaben.

  1. Wie genau sind die Genossenschaft und das Projekt miteinander verbunden?

Das Wohnprojekt gehört zur Genossenschaft. Allerdings wohnen nicht alle Genoss*innen dort: Man kann also auch der Genossenschaft beitreten, wenn man die Sache gut findet und gerade keine Wohnung frei ist. Zur Genossenschaft gehört auch eine Gruppe, die gerade auf der Suche nach einer Liegenschaft ist und ein zweites Wohnprojekt gründen möchte.

  1. Wie ist das Kennenlernen abgelaufen? Wurdet ihr WG-typisch „gecastet“ oder fand das Ganze eher formell statt?

Wir wurden zu zwei gemeinsamen Abendessen eingeladen, damit alle sich gegenseitig kennenlernen können und sehen, ob wir zueinander passen. Mehrere Familien haben sich so vorgestellt und dann stimmte die Gemeinschaft darüber ab, wer einziehen darf.

  1. Laufen alle Entscheidungsfindungsprozesse so ab?

Ja, grundsätzlich werden größere Entscheidungen als Mehrheitsentscheidungen getroffen. Es gibt aber auch unterschiedliche AGs, wie die Bau-AG, die Reparatur-AG und andere, die auch Dinge entscheiden dürfen, ohne die große Runde zu fragen. Auch kleinere Anschaffungen für die Gemeinschaftsräume können ohne Absprache getätigt werden.

  1. Was wird gemeinsam entschieden und was ist Privatsache?

Die Teilnahme an gemeinschaftlichen Aktivitäten ist immer freiwillig. Allerdings ist eine Person, die sich gar nicht einbringen will und kein Interesse an Gemeinschaft hat, natürlich in einem solchen Wohnprojekt falsch. Privatsache ist, was man in der eigenen Wohnung macht; gemeinschaftliche Entscheidungen werden in der Projektversammlung besprochen, die alle zwei Wochen stattfindet.

  1. Wie werden Konflikte ausgetragen?

Größere Konflikte haben wir bisher noch nicht direkt mitbekommen – es ist natürlich erwünscht, dass die beteiligten Personen miteinander reden. Soweit ich das bisher einschätzen kann, funktioniert das meistens ganz gut. Es gab aber wohl auch schon größere Zerwürfnisse in der Vergangenheit. Wenn viele Menschen zusammenleben, ist ja klar, dass sich nicht immer alle gut verstehen – das Klima und der Umgangston sind aber grundsätzlich positiv. Ein großer Teil der Kommunikation, auch wenn es Probleme oder Ärgernisse gibt, läuft über den E-Mail-Verteiler, da man so am schnellsten alle erreichen kann.

  1. Du bist erst vor ein paar Wochen in das Projekt gezogen. Was hat sich seit dem für dich und deine Familie verändert?

Wir haben viele sehr nette Menschen kennengelernt, die wir im Alltag – bei Feiern, Versammlungen oder einfach zwischendurch auf dem Hof – regelmäßig sehen. Das ist eine große Bereicherung! Es fühlt sich einfach anders an, als Teil einer Hausgemeinschaft zu wohnen. Vorher kannte ich die wenigsten meiner Nachbar*innen mit Namen! Die Kinder haben neue Spielkamerad*innen, die uns oft besuchen oder die wir im Kinderraum oder im Sandkasten treffen. Gegenseitige Spielbesuche der Kinder sind so entlastend im Alltag – und wer weiß, vielleicht ergibt sich sogar irgendwann eine gemeinschaftlich organisierte Ferienbetreuung?

Es sind schon Kleinigkeiten, die das Leben einfacher und schöner machen: Wir haben nun viele Menschen um uns, die wir in verschiedenen Dingen um Rat und Hilfe bitten können. Es gibt Gemeinschaftsräume, die wir nutzen können. Dadurch, dass das Haus allen gehört, entsteht ein ganz anderes Gefühl der Verantwortung: Es gibt zwar mehr zu tun als im Mietshaus mit Reinigungsfirma und Hausmeisterdienst, aber alle können sich so einbringen, wie es ihnen gefällt.

  1. Wie gemeinschaftlich ist das Wohnen? Was zählt als Gemeingut? Gibt es gemeinsame Kinderbetreuung? Kaufen alle selber ein oder gibt es Kooperationen mit z.B. der SoLaWi (Netzwerk Solidarische Landwirtschaft)? Welche Gemeinschaftsräume gibt es?

Es gibt relativ wenige institutionalisierte gemeinschaftliche Unternehmungen. Die Projektversammlung habe ich oben schon erwähnt. Alle, die wollen und Zeit haben, essen Freitagabends zusammen. Im Herbst ist ein gemeinsamer Kurzurlaub geplant. Als Gemeingut zählt alles, was zu den Gemeinschaftsräumen und -einrichtungen gehört: Es gibt eine große Gemeinschaftsküche mit Speisesaal, ein Büro, eine Werkstatt, einen Nähraum, einen Fahrradraum, eine Dachterrasse, einen Kinderspiel- und -toberaum, sowie Außenflächen und Keller, Dachboden und Müllraum. Eine organisierte Kinderbetreuung gibt es nicht, das klappt aber gut mit gegenseitigen Absprachen und die Kinder besuchen sich gerne gegenseitig. Alle Bewohner*innen kaufen selbst ein, eine Food-Coop haben wir nicht. Aber eine Bewohnerin engagiert sich bei Foodsharing, und mein Mann ist in der neuen örtlichen Solawi aktiv – mal sehen, was sich noch entwickelt!


Vielen Dank, Kati, dass du Lust hattest meine ganzen Fragen zu beantworten und dir die Zeit dafür genommen hast! Ich persönlich finde es total spannend andere Wohnkonzepte kennenzulernen und erst recht zu erfahren, wie es sich anfühlt dort zu leben. Ich hoffe wir konnten damit auch die Fragen aller weiteren Interessierten am Thema beantworten und einen guten Einblick verschaffen.

Beitragsbild: Mensch Westend / Straßenfest Blücherstraße / Wohngenossenschaft „Blü 17“ und Cfaé Anderswo organisieren / Foto: Erdal Aslan

No Comments

Post A Comment