UNSER BLICKPUNKT: Wir fragen uns, was ist „fair“?

Wir freuen uns, in diesem Jahr einige Texte des EPIZ Entwicklungspolitisches Informationszentrum Göttingen veröffentlichen zu dürfen! Ab jetzt lest ihr jeden Monat einen Beitrag der Reihe „Unser Blickpunkt“.


Wie schön wäre es, wenn „Fairer Handel“ uns endlich globale Gerechtigkeit bringen würde. Wie gerne würden wir tagtäglich in einem der vielen Weltläden oder einem der vielen verwandten Geschäfte einkaufen und uns ansonsten nicht mit Armut, Hunger und Ausbeutung weltweit beschäftigen zu müssen. Laut einer Studie des Forum Fairer Handel gab jede vierte befragte Person an, regelmäßig fair gehandelte Produkte zu kaufen – das sind doch gute Nachrichten, oder?

Viele haben Zweifel, auch der slowenische Philosoph Slavoj Žižek. Er verweist in einem sehr empfehlenswerten Beitrag auf die problematischen Dynamiken. Dazu zählt, dass unreflektierter und unkritischer „ethischer“ Konsum das ausbeuterische System eher stützt: Er kann dazu beitragen einigen Produzentinnen ein besseres Auskommen zu ermöglichten. Dadurch verhindert er aber eventuell die Umstrukturierung globaler Handelsbeziehungen als Ganzes. Drastisch formuliert Žižek: „Die schlimmsten Sklavenhalterinnen sind diejenigen, die nett zu ihren Sklav*innen sind.“

Das Unternehmen „fairafric“ wirbt damit, dass die Produktion der Schokolade nicht wie üblich in Europa, sondern in Ghana stattfindet. Damit bleibt ein größerer Teil der Wertschöpfung als üblich im Ursprungsland – jedoch weiterhin weniger als die Hälfte. Wir und andere fragen uns: Ist dafür die Bezeichnung „superfair“ gerechtfertigt, die das Unternehmen auf die Schokoladen druckt?
Der Begriff „fair“ ist nicht geschützt, worauf die Guerilla Aktion „Agraprofit“ schon 2012 eindrucksvoll hinwies – mit einem Marktstand der Spottpreise anbot, die fair waren – für die Konsument*innen.

Um breitenwirksam zu sein muss der Fairer Handel flankiert werden von Kampagnenarbeit, wie sie neben den Weltläden beispielsweise die Initiative Lieferkettengesetz betreibt: Sie kämpft für eine EU-weite Regelung von Arbeits- und Produktionsbedingungen. Andere, wie die Vereine „Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung“ oder „Germanwatch“ setzen zusätzlich auf transformative Bildungsarbeit.

Davon lassen wir uns gerne inspirieren: Während wir faire Schokolade schlemmen – oder auch andere faire Produkte konsumieren – wollen wir gerne noch mehr Reflexionsgespräche über die Transformation des globalen Handelsregimes führen. Sicherlich auch eine prima Vorbereitung auf die Faire Woche, die im September wieder bundesweit das Thema Fairer Handel sprichwörtlich in alle Munde bringen will.

Einen guten – nein, einen superguten! – Start ins neue Jahr wünschen
Chris Herrwig und das EPIZ-Team!

P. S.: Der Text erschien in leicht veränderter Form zuerst im Sommer 2022 beim EPIZ Göttingen.

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