Schild mit Aufschrift "Peace" in den Farben der ukrainischen Flagge

Über den Krieg hinausdenken – Wie kann es weitergehen nach dem Ende des Krieges in der Ukraine? Perspektiven des Zusammenlebens in Europa

Warum sollte man jetzt schon über ein „nach dem Krieg“ nachdenken?

Im Rahmen der Bonner Friedenstage fand die Veranstaltung: „Über den Krieg hinausdenken – Wie kann es weitergehen nach dem Ende des Krieges in der Ukraine? Perspektiven des Zusammenlebens in Europa“ statt. Referierende waren: Dana Jirouš, Projektkoordinatorin von „Women‘s Initiative for Peace in Donbas(s)“ (Berlin), Andreas Zumach, Journalist und Publizist (Berlin) und Maria Peter-Filatova von der Jüdischen Gemeinde Bonn. Die Anwesenden erzählten von ihrem Engagement im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland und wie sie die Situation wahrnehmen. Besonders hängen geblieben ist mir die Frage nach der Rolle der Zivilgesellschaft im Krieg. Kann man als normale Bürgerin/normaler Bürger überhaupt was gegen den Krieg und für Frieden tun, und wenn ja, was?

Frauen für den Frieden – die Macht des Dialogs

Zunächst berichtete Dana Jirouš von ihrer Arbeit mit der Women‘s Initiative for Peace in Donbas(s). Seit 2016 bringt die Initiative Frauen von beiden Seiten des Konflikts zusammen, die bereit sind zu reden. Ukrainerinnen und Russinnen im Dialog, oft unvorstellbar. Durch ihre lange Arbeit ist ein Fundament geschaffen, das es möglich macht, auch über heikle und schmerzhafte Themen vertrauensvoll zu reden. Dana Jirouš bekommt oft die Frage gestellt, was sie denn mit ihren Frauen ausrichten möchte und warum sie auch nach der Eskalation am 24. Februar 2022 weiter machen. Ja, sie seien nicht in der Lage den Konflikt zu beenden und sie konnten auch die Eskalation nicht verhindern. Aber sie können zeigen, dass Dialog immer noch möglich ist. Mit ihren Gesprächen arbeiten sie weiter gegen Feindbilder und schaffen die Grundlage für eine Versöhnung nach dem Krieg.

Ukraine und Russland im Dialog – wie könnte das gehen?

Aber ist Versöhnung überhaupt denkbar? Und schön, sich Gedanken über danach zu machen – aber wie könnte es denn überhaupt ein Ende des Krieges geben? Journalist und Publizist Andreas Zumach hat seine Gedanken dazu geteilt. Den Krieg zu beenden hat die Politik in der Hand, wie könnte man also die Konfliktparteien an einen Verhandlungstisch bringen? Bei all den gegensätzlichen Interessen und Werten betont Andreas Zumach die gemeinsamen Interessen. Weder Russland noch die Ukraine oder ein anderer Staat könne daran interessiert sein, dass es zu einem direkten Krieg zwischen der NATO und Russland kommt oder dass Atomwaffen eingesetzt werden. Er sieht Potential darin, dass China Russland unter Druck setzen könnte, an den Verhandlungstisch zu gehen. Wären China ein funktionierender Handel und gute Absatzmärkte wichtiger als die Interessen des Verbündeten Russlands, so könnte China wohl genug Druck ausüben. Die Ukraine könne von den „westlichen Nationen“ an den Verhandlungstisch gebracht werden, sofern diese eine einheitliche politische Linie verfolgen. Solche Verhandlungen wären ein erster Schritt zum Frieden und erste Überlegungen, wie es danach aussehen kann – aber noch nichts Verbindliches.

Spannungen und Solidarität in der jüdischen Gemeinde

Maria Peter-Filatova von der Jüdischen Gemeinde Bonn gibt nochmal eine neue Sicht auf den Konflikt, da zur jüdischen Gemeinde in Bonn sowohl Glaubende aus Russland als auch aus der Ukraine gehören. Zudem ist sie als Jüdin unter anderem in Moskau aufgewachsen. Innerhalb der Gemeinde kommt es hin und wieder zu Spannungen, zu dem gemeinsamen Chor kommen nicht mehr alle. Dennoch hilft die Gemeinde ganz praktisch Geflüchteten aus der Ukraine. Welche Reaktionen bekommt sie, wenn sie als Russin Ukrainer*innen hilft? „Ganz unterschiedliche“ ist ihre Antwort. So unterschiedlich wie Menschen nun mal sind, seien auch die Reaktionen. Manche reagieren ablehnend, andere sind interessiert an ihrer Person und wollen ihre Biografie wissen.

Braucht es eine Wahrheitskommission?

In der anschließenden Fragerunde blieb bei mir die Frage hängen, ob es nach dem Krieg eine Wahrheitskommission bräuchte, um zu klären, was eigentlich wirklich passiert sei.

Dana Jirouš antwortet, für die Frage sei es zu früh. Noch könne man nicht einschätzen, welche Bedürfnisse die Bevölkerung nach Ende des Krieges haben wird. Doch will man diesen Krieg aufarbeiten, müssen beide Länder erst einmal ihre eigene Geschichte aufarbeiten. In Russland sei kaum etwas zur Aufarbeitung der UdSSR Zeit und den Menschenrechtsverletzungen getan worden. In der Ukraine sei der zweite Weltkrieg, besonders in Hinblick auf die Person Stepan Bandera, nicht aufgearbeitet. Im westlichen Teil der Ukraine wird er als Nationalheld im Unabhängigkeitskampf der Ukraine gefeiert, im anderen Teil der Ukraine steht man ihm eher skeptisch gegenüber. Er kämpfte zwar für eine unabhängige Ukraine, war aber auch Antisemit, verübte Terroranschläge und arbeitete mit den Nationalsozialisten zusammen.

Maria Peter-Filatova stimmt ihr zu, wahrscheinlich müssten erst andere Geschehnisse aufgearbeitet werden, bevor man damit beginnen kann, über eine Wahrheitskommission zu sprechen. Außerdem gebe es nach dem Krieg wahrscheinlich erst mal andere Probleme, da aus Russland viele kluge Köpfe geflohen sind, bspw. die IT Infrastruktur kaum mehr vorhanden sei, weil schlichtweg alle IT Menschen geflohen seien.

Dass langfristig eine Versöhnung stattfinden kann, halten die Referentinnen für möglich. Doch dafür brauche es insbesondere die Zivilgesellschaft, die normalen Bürgerinnen und Bürger, die bereit für Kontakt und Dialog sind, auch schon während des Krieges.

(Veranstaltet wurden die Vorträge und anschließende Diskussion vom Evangelischen Forum und dem Katholischen Bildungswerk.)

-Corinna-


Beitragsbild von Kedar Gadge auf unsplash

No Comments

Post A Comment