Schweigen ist nicht neutral – warum Lehrkräfte sich gegen Rechts äußern dürfen und sogar müssen

Welche Rechte und Pflichten der Beutelsbacher Konsens für Lehrkräfte bedeutet

In den vergangenen Wochen haben in Deutschland hunderttausende Menschen gegen Rechtsextremismus demonstriert. Auslöser dafür war ein geheimes Treffen, an dem Politiker:innen der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) und der Partei „Christlich Demokratische Union“ (CDU) sowie ein bekannter österreichischer Rechtsextremist teilgenommen haben. Die Demonstrationen wurden als großer Schritt Deutschlands und als kollektives Aufstehen gegen Rechtsextremismus gefeiert. Natürlich waren und sind die Demonstrationen auch Thema an Schulen. Eine derart große Masse an Menschen entsteht unter anderem durch die Verbreitung von Hinweisen auf entsprechende Veranstaltungen an Schulen und Hochschulen. In diesem Zusammenhang beanstanden nun rechte Akteure angebliche Verstöße gegen das Überwältigungsverbot des Beutelsbacher Konsenses sowie gegen das Neutralitätsgebot für Lehrer:innen und agitieren gegen die Bildungseinrichtungen.

Hier gilt es Klarheit zu schaffen: was genau beinhaltet der viel zitierte Beutelsbacher Konsens? Welchen Spielraum gibt es eigentlich in Schulen für politische Äußerungen? Und wo stößt dieser Spielraum an seine Grenzen? Setzen wir uns also mit den Herausforderungen, mit denen sich Lehrkräfte insbesondere in der politischen Bildung konfrontiert sehen, auseinander. Diese fußen u.a. auf dem Beutelsbacher Konsens. Dieser besteht aus drei Grundsätzen:

  1. Das Überwältigungsverbot: Dieses besagt, dass es nicht erlaubt ist, Schüler:innen mit welchen Mitteln auch immer, im Sinne unerwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der Gewinnung eines selbstständigen Urteils zu hindern. Denn genau hier verläuft nämlich die Grenze zwischen politischer Bildung und Indoktrination.
  2. Das Kontroversitätsgebot.: Dieses besagt, dass was in Politik und Wissenschaft kontrovers ist, auch im Unterricht kontrovers dargestellt werden muss.
  3. Die Interessenlage: Schüler:innen müssen in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und ihre eigene Interessenlage zu analysieren, sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne ihrer Interessen zu beeinflussen. (Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung)

Das sogenannte Neutralitätsgebot gibt es nicht

Dem Kontroversitätsgebot wird oft eine Kehrseite vorgeworfen; diese wird als Neutralitätsgebot bezeichnet. Dieses bezieht sich auf den 21. Artikel des Grundgesetzes, in dem es um das parteipolitische Neutralitätsgebot des Staates und das Recht der Parteien auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb geht. Dieses bedeutet aber nicht, dass politische Positionen, die beispielsweise den Menschenrechten widersprechen, unkommentiert bleiben müssen, im Gegenteil: Es ist gerade Auftrag „politischer Bildung, Informationen über Parteien einschließlich ihrer Grundsatzpapiere und  Positionen ihrer Funktionsträger:innen sachlich zu thematisieren. Falls es sich dabei um Positionen handelt, die den Menschenrechten entgegenstehen, weil sie etwa rassistisch oder rechtsextrem sind, haben Lehrende nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, solche Positionen entsprechend einzuordnen und ihnen zu widersprechen. Dies gilt auch, wenn es sich um Positionen von in den Parlamenten vertretenen Parteien wie der AfD handelt.“ (Quelle: Deutsches Institut für Menschenrechte) Es gibt somit etwas wie ein „Neutralitätsgebot“ nicht. Aus der kontroversen Darstellung kontroverser Unterrichtsinhalte folgt nicht, dass die Lehrkraft keine eigenen Positionen haben und aufzeigen darf – solange sich diese innerhalb des Rahmens der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewegen und die eigene Position nicht auf eine überwältigende Art und Weise in den Unterricht eingebracht wird. Politische Bildung soll Kritik- und Konfliktfähigkeit vermitteln sowie politisch kontroverse Inhalte so darstellen, wie sie auch in der Politik und Wissenschaft wahrgenommen werden. Dabei vertreten Lehrer:innen als Beamt:innen das Grundgesetz und dessen Werte.

Brandbrief-Verfasser:innen gründen Website für Demokratie

Laura Nickel und Max Teske haben sich auch gezwungenermaßen an ihrer Schule mit rechtsextremem Verhalten auseinandergesetzt. Die beiden Lehrkräfte haben ihre alte Schule im brandenburgischen Burg verlassen und einen Brandbrief verfasst und veröffentlicht, nachdem sie im Angesicht rechtsextremen Verhaltens von Schüler:innenseite sowie mangelnder Unterstützung der Lehrerschaft und der Eltern nicht mehr gegen den Rechtsextremismus ankamen. Dadurch haben sie viel Aufmerksamkeit von den Medien bekommen und die Internetseite „Schule für mehr Demokratie“ gegründet, auf der sich Lehrkräfte aus ganz Deutschland vernetzen und Fälle von Rechtsextremismus an ihren Schulen melden können.

Von Jakob Brenn

Bildrechte: Malu Laker / unsplash

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