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Reisende sind Reisende sind Reisende – oder? Über die Macht des Visums

Heute gibt es einen Gastbeitrag von VisaWie, einem Verein, der sich gegen diskriminierende Visa-Verfahren einsetzt. Hier lesen und aufregen:


Freund*innen in anderen Ländern besuchen oder ein Praktikum im Ausland absolvieren – ganz normale Dinge, die junge Menschen im 21. Jahrhundert eben tun. Das soziale Netzwerk ist für viele von uns mittlerweile global verteilt und Länder-Grenzen für viele kaum sichtbar. Aber gilt das eigentlich für alle? Dayo[1] aus Benin wollte einen Freiwilligendienst beim Internationalen Bund in Deutschland absolvieren. Nachdem er bereits alle erforderlichen Unterlagen eingereicht hatte, wurde er zu einem gesonderten Botschaftstermin eingeladen. Doch statt eines respektvollen Gespräches erwarteten ihn dort eine Menge Anschuldigungen, wie zum Beispiel der Vorwurf, die deutsche Organisation im Hinblick auf seine Deutschkenntnisse getäuscht zu haben. Trotz aller erdenkbaren Bestätigungen seines potentiellen Praktikumsgebers wurde sein Visum schlussendlich abgelehnt. Ähnlich erging es ihm zuvor, als er ebenfalls ein Visum für ein Praktikum beantragt hatte, obwohl ihm von der Botschaft mündlich zugesichert worden war, dass die Visumserteilung kein Problem darstellen werde.

Auch Said aus Lahore hat Ähnliches bei der Visumsbeantragung erlebt. Nach vielen Besuchen seiner deutschen Freund*innen in Pakistan wollte er nun ihr Zuhause kennenlernen und beantragte deshalb ein Besuchsvisum. Da er die formalen Kriterien erfüllte, kümmerte er sich um die langwierige Zusammenstellung aller notwendigen Dokumente – eine drei Monate andauernde und kostspielige Angelegenheit. Bei seinem Botschaftstermin konnte er dann jedoch nicht wie erwartet seinen Besuchsgrund erklären, sondern sah sich haltlosen Unterstellungen bezüglich seiner Rückkehrbereitschaft nach Pakistan ausgesetzt. Schlussendlich attestierte ihm die Botschaft, diese nicht ausreichend bewiesen zu haben und lehnt das Visum ab. Diese Rückkehrbereitschaft – also die Bereitschaft in das Herkunftsland zurückzukehren – ist meist der springende Punkt im Visaprozess und der häufigste Grund, warum Visa abgelehnt werden. Sie kann ganz einfach weder objektiv belegt, noch wiederlegt werden, bleibt also eine Einschätzungsfrage seitens der Botschaft und wird für viele zur unüberwindbaren Hürde.

Die Visavergabe folgt struktureller Ausgrenzung

Dayo und Said sind keine Einzelfälle – während deutsche Staatsbürger*innen echte Reisefreiheit genießen und ohne Visum in 172 Ländern reisen können, gelangen andersherum nur Staatsangehörige von 71 Staaten ohne Visumsprozedere über die deutsche Grenze. In der Rede über die noch nie dagewesene Mobilität im 21. Jahrhundert geht es also vor allem um die Bewegungsfreiheit deutscher (oder europäischer) Staatsbürger*innen. Im Rahmen der Organisation eines Süd-Nord-Freiwilligendienstes waren auch wir Zeug*innen der Willkürlichkeit von Visumsvergabeprozessen. Wir waren damals im Verein Zugvögel – Grenzen überwinden e. V. aktiv. Über diesen Verein sollten zwei junge Frauen aus Uganda einen staatlich geförderten weltwärts-Freiwilligendienst in Deutschland absolvieren. Doch das Visum wurde aufgrund von „fehlender Rückkehrbereitschaft“ im ersten Anlauf verweigert. Das war im Jahr 2014. Aus der Wut und Ohnmacht über diese Ablehnung erwuchs schnell die Frage, inwiefern es sich hier um Einzelfälle oder systematische Diskriminierung handelte – die VisaWie?-Kampagne wurde ins Leben gerufen.

Bei näherem Betrachten der Visa-Vergabepraxis und der dazu vorhandenen Zahlen und Fakten – wie zum Beispiel Visa-Erteilungsquoten – wurde uns bewusst, dass es sich hierbei vermutlich nicht um Zufälle, sondern um strukturelle Ausgrenzung handelt. Visa werden nicht im luftleeren Raum erteilt, sondern fügen sich ein in ein System postkolonialer globaler Machtverhältnisse. So sind Grenzsysteme und die damit verbundenen Kontrollen der Menschen, die diese überqueren wollen, nicht natürlich gegeben, sondern ein Produkt historisch relativ neuer Entwicklungen. Während der territoriale Nationalstaat des 19. Jahrhunderts Menschen in ein System von Zugehörigkeiten einsortiert, entscheidet die ungleiche Verteilung von Macht zwischen diesen Staaten auch über die Bewegungsfreiheit ihrer jeweiligen Bürger*innen. Dies lässt sich auch heute darin beobachten, wer ohne Visa in Deutschland einreisen darf und wer nicht

Die Absurdität der Visapolitik heute

In den letzten Jahren gab es immer wieder Veränderungen in den Bestimmungen, welche Staatsbürger*innen ohne Visum in Deutschland einreisen können und wer nicht. Visaregelungen sind also nicht dauerhaft und dass wir in manchen Ländern ein Visum zur Einreise benötigen und manchmal nicht, ist schon gar nicht „normal“ oder naturgegeben. Vielmehr bestimmen zwischenstaatliche Verträge darüber, die vor dem Hintergrund geopolitischer, wirtschaftlicher und innenpolitischer Interessen ausgehandelt werden. Dass die EU und Deutschland ihre im internationalen Machtgefüge starke Position nutzen, versteht sich von selbst. In den letzten Jahren hat es in diesem Zusammenhang immer wieder Neuverhandlungen von Visaverträgen gegeben.

Die Fluchtbewegungen der letzten Jahre beispielsweise haben sich auch auf Visabestimmungen ausgewirkt. Befreiungen von der Visumspflicht für Staatsangehörige mancher Staaten wird als politisches Mittel genutzt, damit diese die „irreguläre“ Migration aus Drittstaaten verhindern. Die EU hat beispielsweise Ägypten und Tunesien Angebote gemacht, die Visabestimmungen für deren Bürger*innen zu erleichtern. Bedingung für die Erleichterungen war es, die Abschiebungen von Geflüchteten aus der EU in diese Länder zu vereinfachen. Eine ähnliche Regel war Teil der Verhandlungen um den „EU-Türkei Deal“, die letztendlich aber nicht mit aufgenommen wurde. Diese Beispiele zeigen also, dass plötzliche Visaerleichterungen Teil politischer Verhandlungen werden, solange sie den Interessen Deutschlands entsprechen – in diesem Fall: die Kontrolle über Migration wieder zu erlangen.

Auch die visumsfreie Einreise für Ukrainer*innen passt in dieses Schema. So muss diese Entscheidung im Kontext der Zerrissenheit der Ukraine zwischen der EU und Russland gesehen werden – hier geht es also auch um geopolitische Interessen. Gleichzeitig gilt diese Bestimmung nicht bedingungslos. Falls sich durch die Visafreiheit eine Zunahme illegalisierter Migration erkennen lässt, soll sie wieder entzogen werden. Das Muster der deutschen Visapolitik folgt also sehr deutlich den nationalen Interessen. Die restriktiven Visaverfahren für die meisten Länder im globalen Süden bestätigen dieses Muster.

Ad absurdum wird die Visapolitik geführt, wenn Staaten Reisepässe zum Verkauf bieten und damit die Reisefreiheit zur Ware wird, die sich nur die Reichsten dieser Welt leisten können. So verkaufen zum Beispiel Staaten wie Zypern, Malta, Bulgarien und Griechenland die Staatsbürgerschaft zum Preis von örtlichen Immobilien, mit Mindestwerten von 1 – 2 Mio. Euro. Damit können sich also Superreiche einen der „stärksten“ (gemessen am Reisepassindex) Reisepässe erstehen und sich damit globale Bewegungsfreiheit erkaufen.

Global betrachtet ist die Bewegungsfreiheit also ein Ausdruck von Privilegien, die uns mit der Geburt verliehen werden (oder eben nicht). Die hier genannten Beispiele zeigen, inwiefern die Frage, ob du ein Visum für die Reise in andere Länder brauchst oder nicht, ein Spielball der Politik ist und damit ein Ausdruck globaler Machtverhältnisse. Visabestimmungen sind also alles andere als natürlich, sondern politisch – und damit auch politisch veränderbar.

Aktiv gegen die Willkür in der Visa-Vergabe

Weil wir bei VisaWie!? zu den wenigen privilegierten Menschen gehören, die sich weltweit fast uneingeschränkt bewegen können und von globalen Machtverhältnissen profitieren, die andere in ihrer Bewegungsfreiheit einschränken, setzen wir uns dafür ein, die Visavergabe zu verändern. Wir sind davon überzeugt, dass sich diese Prozesse über politische Stellungnahme, Protest und Bildungsarbeit ändern lassen. Mit Workshops auf Seminaren thematisieren wir beispielsweise die lange, koloniale Geschichte des Visums, um Menschen für diese Ungerechtigkeit zu sensibilisieren. Mit dem Reisepassquartett thematisieren wir auf spielerische Weise die fehlende „Rückkehrbereitschaft“, die ein besonders scharfes und meist willkürliches Kriterium der Ablehnung von Visumsanträgen darstellt. Mit unserem politischen Protest fordern wir ein transparentes, erfüllbares und objektives Verfahren, das sich auch wirtschaftlich schwache Personen leisten können, weil vielen Menschen schon ein Antrag wegen diverser Anforderungen der jeweiligen Botschaft nicht möglich ist. Findest du auch, dass die Bewegungsfreiheit eines Menschen nicht davon abhängig sein darf, an welchem Ort er oder sie zufällig geboren wurde? Dann schreib uns und beteilige dich mit uns an Aktionen gegen diskriminierende Visaverfahren!

[1] Name geändert

Beitragsbild: Photo by Anete Lūsiņa on Unsplash

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