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Kolonialismus und Postkolonialismus

Seit einiger Zeit ist der Begriff „Postkolonialismus“ häufiger zu finden. Es gibt postkoloniale Studiengänge, postkoloniale Literatur und immer wieder findet sich das Wort in Veranstaltungen, in Broschüren oder in aktivistischen Kontexten. Aber was bedeutet „postkolonial“ überhaupt? Woher kommt der Begriff? Und was war eigentlich der deutsche Kolonialismus?

Kolonialismus und die Zeit „danach“

Um Postkolonialismus zu erklären, müssen wir zurück in die Geschichte schauen und uns vor Augen führen, was „Kolonialismus“ bedeutet. Per Definition besteht Kolonialismus dann, wenn
1. Herrschaft über ein Territorium besteht,
2. die Herrschaft eine Fremdherrschaft ist, weil die kolonisierende und die kolonialisierte Gesellschaft eine unterschiedliche soziale Ordnung und Geschichte haben und
3. die Annahme bei der Kolonialmacht herrscht, dass die beiden Gesellschaften unterschiedlich weit entwickelt seien.

Kolonialismus gibt es schon so lange, wie es Menschen gibt – er ist kein Phänomen der neueren Geschichte. Außerdem ist Kolonialismus sehr komplex. Er betraf nicht nur die formelle Herrschaft, sondern auch andere Aspekte: So war und ist zum Beispiel die globale Wirtschaft durch die Ausbeutung von Rohstoffen, Arbeitskräften usw. von nicht-europäischen Gesellschaften geprägt.

Ab dem 15. Jahrhundert kolonisierten zuerst die Menschen aus Europa, später auch aus den USA und Japan fast die ganze Welt. Sie besiedelten, raubten und beherrschten dabei weitreichende Gebiete und Gesellschaften.

Nach gängiger Vorstellung endete die koloniale Epoche in den 1960ern. Das ist die Zeit, in der viele kolonialisierte Staaten ihre Unabhängigkeit erlangten. Die Falklandinseln, die Cayman Islands oder Französisch-Polynesien sind Beispiele, wo die formelle Kolonialherrschaft noch andauert. Es wird aber (nicht nur) von Postkolonialist*innen angenommen, dass die kolonialen Machtbedingen keinesfalls mit dem formalen Ende des Kolonialismus verschwinden. Im Gegenteil: Es herrscht zum einen die Annahme, dass die heutige Weltordnung maßgeblich von der kolonialen Ordnung beeinflusst wurde. Zum anderen wird auch davon ausgegangen, dass koloniale Beziehungen nicht vollständig aufgelöst wurden und noch immer herrschen.

Auswirkungen auf die kolonialisierten Gesellschaften

Die Auswirkungen auf die betroffenen Gebiete waren fatal und halten teilweise bis heute an. Die kolonialisierten Gesellschaften erlebten einen tiefen Einschnitt in alle Bereiche des Lebens: Die soziale Ordnung, die Sprache und das Rechtssystem zeigen teilweise bis heute koloniale Muster auf. Die Spuren der Kolonialherrschaft verursachen immer noch Konflikte in den ehemaligen Kolonien. Grenzen wurden durch die Kolonialmächte willkürlich gezogen, verschiedene Ethnien wurden in neu geformten Nationalstaaten, die meist den Kolonialgebieten entsprachen, zusammengezwungen und in der Folge kam es in manchen Fällen zu blutigen Auseinandersetzungen. Neben solchen Veränderungen der Ordnung litten die kolonialisierten Gesellschaften auch durch eingeführte Krankheiten, Genozide, Menschenraub und wirtschaftliche Ausbeutung. So starben in Abya Yala (Abya Yala ist ein vorkolonialer Begriff für den amerikanischen Kontinent, bevor er von Europäer*innen „Amerika“ genannt wurde) im Zuge des Kolonialismus  etwa 56 Millionen Menschen durch Krankheiten, die aus Europa eingeschleppt worden waren. Das waren rund 90 Prozent der Bevölkerung. Zudem wurden mehr als 12 Millionen Afrikaner*innen bis 1866 verschleppt. Und die von Großbritannien geraubten Güter aus Indien werden auf die bloße Summe von 45 Billionen US-Dollar geschätzt.

Das erste postkoloniale Denken

Postkolonialismus ist eine politische, wissenschaftliche und literatur- und kulturtheoretische Richtung. Die Postcolonial Studies entstanden in den 1980er Jahren. Den Anfang machte vermutlich Edward Said mit seinem Buch „Orientalismus“ (1978), auf welches sich im Anschluss viele postkoloniale Denker*innen bezogen. Said sprach in seinem Buch über die westliche Vorstellung des „Orients“. Er meinte, dass „der Orient“ so gar nicht existiert, sondern als solcher von der westlichen Wissenschaft überhaupt erst als dieser präsentiert wird. Über die negativen Auswirkungen von Kolonialismus wurde aber schon viel früher gesprochen. Das Denkmodell  „Postkolonialismus“ entstand zuerst als eine theoretische Perspektive in der Kultur- und Literaturwissenschaft. Mittlerweile finden sich postkoloniale Ansätze in vielen weiteren Disziplinen, wie in der Politikwissenschaft, Geschichtswissenschaft oder Geographie. Dabei wird Postkolonialismus als Widerstand gegen koloniale Herrschaft verstanden.

Drei Kernannahmen des postkolonialen Ansatzes

Als erstes ist da die Annahme, dass Kolonialismus mit der Unabhängigkeit von Staaten nicht gänzlich abgeschafft wurde. Stattdessen blieben viele Abhängigkeiten bestehen. So verloren die Kolonialmächte zwar ihre formelle Herrschaft, aber stattdessen herrschten vielerorts Eliten, die die kolonialen Strukturen und Ideologien aufrechterhielten. Die Vorsilbe „Post“ deutet also nicht darauf hin, dass Postkolonialist*innen davon ausgehen, Kolonialismus sei gänzlich abgeschafft. Sie fordern stattdessen die weitere Aufarbeitung und Überwindung des Kolonialismus.

Die zweite Annahme des postkolonialen Ansatzes ist das Verständnis dessen, was Kolonialismus begründet hat. Häufig werden wirtschaftliche Aspekte als Begründung für Kolonialismus herangezogen. Postkolonialist*innen sagen hingegen, dass vor allem eine Hierarchisierung von Kulturen stattfindet: Eine Kultur sei höherwertig als andere. Allgemein wurde Kolonialismus durch unterschiedliche „Zivilisierungsgrade“ begründet: Die koloniale Vorstellung war, dass Länder sich in einer bestimmten, linearen Art und Weise entwickeln. Kolonialismus müsse betrieben werden, um die sogenannten „rückschrittlichen“ Gesellschaften zu „zivilisieren“. Diese universelle Vorstellung wird von Postkolonialist*innen als eurozentristisch hinterfragt und kritisiert.

Der dritte Punkt hat ebenfalls etwas mit Universalität zu tun. So wollen Postkolonist*innen die Vorstellung aufbrechen, die Welt sei in zwei Teile aufgeteilt, die unabhängig voneinander betrachtet werden könnten. Diese Logik wird von ihnen als vereinfacht kritisiert. Die Vorstellung ignoriere die vielfältigen Beziehungen und Austauschprozesse, die durch Kolonialismus geformt worden sind. So ist Europa zum Beispiel stark durch Kolonialismus geprägt und konnte nur durch die Ausbeutung seiner Kolonien so reich werden. Postkolonialist*innen kritisieren, dass europäische Geschichte häufig getrennt von kolonialer Geschichte betrachtet wird. Kolonialismus ist aber ein wichtiger Teil der europäischen Geschichte.

Europa und die „Anderen“

Postkolonialist*innen haben in ihren Werken immer wieder darauf aufmerksam gemacht, wie nicht-europäische Kulturen als minderwertig oder (noch) nicht-entwickelt dargestellt wurden. Durch eine Abgrenzung zu den „Unterentwickelten“ und „Anderen“ konnte sich Europa selbst als die „Entwickelten“ präsentieren. Ein Bespiel dazu:
Gayatri Chakravorty Spivak, eine postkoloniale Autorin, beschreibt in ihrem Buch „Can the Subaltern Speak?“ (1988) das Vorgehen der britischen Kolonialmacht in Indien. Die britische Kolonialregierung rechtfertigte ihre Herrschaft damit, die indischen Frauen vor dem dortigen Patriarchat schützen zu müssen. Ihr bekannter Ausspruch im Buch lautete „white men saving brown women from brown men“. Diese Logik wurde zur Begründung für die Kolonialherrschaft. Dass diese kolonialistische Geschlechterkonstruktion auch heute noch existiert, zeigt der Einsatz der Bush-Regierung in Afghanistan. Der Einsatz wurde weitestgehend mit der vermeintlichen Rettung der afghanischen Frauen gerechtfertigt. Frauen wurden und werden so für den kolonialistische Zwecke instrumentalisiert.

Wenn ihr mehr zum Thema Entwicklungspolitik und Kolonialismus lesen wollt, könnt diesen Beitrag auf dem Blog lesen.

Aufarbeitung in Deutschland

Postkoloniale Theorien begannen in den 1990er Jahren in der deutschsprachigen Wissenschaft Einfluss zu nehmen. Vermehrt wurden auch hier Gespräche über koloniales Erbe, anhaltende Machtasymmetrien und globale Abhängigkeiten geführt. Ein Thema, welches besonders in den letzten Jahren vermehrt Einzug auch außerhalb der Wissenschaft findet, ist die Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus vor allem in Afrika, aber auch in Ostasien (China) und Ozeanien. Häufig wurde der deutsche Kolonialismus als „nicht so wichtig“ oder „zu klein“ betitelt. Das stand einer Aufarbeitung entgegen. Der Fläche nach hatte Deutschland aber 1914 das drittgrößte Kolonialreich. Lange weigerten sich die Bundesregierungen Verantwortung zu übernehmen.

Eine interessante Podcastfolge über den deutschen Kolonialismus in Ostafrika findet ihr hier bei Deutschlandfunk.

Im Jahr 2018, 100 Jahre nach dem Ende des deutschen Kolonialismus, vereinbarten die Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag, die Kolonialvergangenheit Deutschlands aufzuarbeiten. Seitdem gab es Schritte, die eingeleitet wurden, um sich mit dem deutschen Kolonialismus auseinanderzusetzen. Kunstgegenstände wurden zurückgegeben, Straßen umbenannt und 2021 gab es eine offizielle Entschuldigung seitens der deutschen Regierung für den Völkermord an den Herero und Nama in Namibia, die überhaupt die erste Anerkennung des Völkermords von deutscher Seite darstellt. Viele Stimmen fordern aber immer wieder eine breitere und weitreichendere Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte – mit mehr Platz im Lehrplan, der Rückgabe von geraubter Kunst aus den Kolonialgebieten und der generellen Aufklärung über das Thema. Es ist wichtig, außereuropäische Sichtweisen einzunehmen und die neokolonialen Machtungleichheiten konsequent zu hinterfragen, um sie schließlich zu überwinden.

-Valerie-


Quellen:

https://simpleclub.com/lessons/englisch-postcolonialism-basic-facts

https://www.geo.de/wissen/21459-rtkl-bilanz-wie-der-kolonialismus-die-welt-bis-heute-praegt

https://www.bpb.de/themen/kolonialismus-imperialismus/postkolonialismus-und-globalgeschichte/240817/postkolonialismus-und-intellektuelle-dekolonisation

https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/146971/kolonialismus-und-postkolonialismus-schluesselbegriffe-der-aktuellen-debatte

https://www.einewelt-sachsen.de/wp-content/uploads/2022/12/Artikel_Postkoloniale-Denken_Rafael-Freitas_final-Pdf.pdf

https://www.ieg-ego.eu/de/threads/theorien-und-methoden/postkoloniale-studien

https://www.bmz.de/de/themen/postkolonialismus/historischer-hintergrund-168850

https://www.bpb.de/themen/afrika/dossier-afrika/58870/deutschland-in-afrika-der-kolonialismus-und-seine-nachwirkungen

https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/alle-kolonien-von-deutschland-wann-und-welche-gab-es-id63943906.html

https://www.dw.com/de/wie-l%C3%A4uft-die-aufarbeitung-des-deutschen-kolonialismus/a-57314614

Bild von Alexa auf Pixabay

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