Impfstoff als Luxusgut?

Die Covid-19-Pandemie ist weiterhin omnipräsent. Seit der Impfstoff im Dezember zugelassen wurde, verbreitet sich die Hoffnung auf ein nahendes Ende des zweiten Lockdowns und des gesamten Ausnahmezustandes. Doch es zeigen sich leider auch wieder neue Facetten einer bröckelnden Solidarität zwischen den Ländern. Wer bekommt zuerst? Wer hat zuerst? Wer darf zuerst? Der Anspruch der Weltgesundheitsorganisation (WHO) lautet „Gesundheit für alle“ zu ermöglichen. Doch die aktuellen Probleme des Zugangs zu Impfstoffen und die der Verteilung, verstärken die Notwendigkeit einer globalen Gesundheitspolitik. Aber wie hängen Politik und Impfen eigentlich zusammen? Und seit wann gibt es Impfungen?

Der geschichtliche Kontext

Das Grundprinzip jeder Schutzimpfung ist es, bewusst krankheitserregendes Material in ein gesundes Individuum einzuführen, um dieses vor einer schweren Krankheit zu schützen. Aber auch dieses Prinzip musste sich erst im Verlauf der Geschichte entwickeln. Schon in der Antike haben Gelehrte erkannt, dass Menschen, welche die Pest oder die Pocken überlebt hatten, gegen spätere Epidemien dieser vielfach todbringenden Erkrankungen geschützt waren. Aber als gezielte medizinische Maßnahme wurde das Impfen erst viele Jahrhunderte später eingesetzt.

17. Jahrhundert

Der Vorläufer des heutigen Impfens, die sogenannte Inokulation, wurde früher vor allem in Indien und China praktiziert. Dazu entnahm man Personen, die beispielsweise die Pocken gerade überstanden hatten, mit einem kleinen Messer Material aus einer Pustel. Dieses Material wurde dann wiederum an Gesunde an eine dafür aufgeritzte Stelle der Haut weitergegeben.

Vor allem Lady Mary Wortley Montagu, die Gattin des englischen Botschafters in Konstantinopel, setzte sich dafür ein, das Wissen um diese erfolgreiche Praxis nach Europa zu bringen. Sie selbst ließ ihren eigenen Sohn, während eines Aufenthalts im früheren osmanischen Reich, auf diese Weise impfen und schaffte es trotz anfänglicher Skepsis sogar den englischen König zu überzeugen.

Die Inokulation blieb anfänglich allerdings meist auf den Adel und die städtische Oberschicht begrenzt. Dies lag daran, dass eine Impfung oft mit Zweifeln verbunden und dadurch noch nicht allzu verbreitet war, aber auch dass so eine Impfung mit extremen Kosten verbunden war.

18. Jahrhundert

Die erste Schutzimpfung gegen eine Infektionskrankheit war die Kuhpockenimpfung. Als ihr Entdecker gilt der englische Landarzt Edward Jenner. Dieser Arzt hat in einem riskanten Versuch einen Jungen absichtlich mit den, für den Menschen relativ harmlosen, Kuhpocken infiziert, um ihn anschließend mit den tödlichen Menschenpocken anzustecken. Und er hatte tatsächlich Erfolg: Der Junge wurde nicht krank. Jenner machte seinen Erfolg öffentlich und so war die „Vakzination“ – der Terminus ist von dem lateinischen Wort vacca für „Kuh“ abgeleitet – erfunden.

19. Jahrhundert

Trotz einigem Widerstand gegen Jenners Vorgehensweise, die teilweise als „Brutalimpfung“ betitelt wurde, war zu Beginn des 19. Jahrhunderts überall in Europa eine ansteigende Impfeuphorie unter den Medizinern zu beobachten. Einerseits wurden Schulen eröffnet, an denen die Impftechnik gelernt werden sollte. Andererseits gab es viele Impfkampagnen und Veröffentlichungen, die bereits vorgaben, die Pocken seien ausgerottet – und dass, obwohl die Pocken erst 1980, also fast 180 Jahre später, von der WHO für ausgerottet erklärt wurden.

Der Mikrobiologe Albert Calmette und der Veterinärmediziner Camille Guérin entwickelten in den 1920er Jahren dann erfolgreich einen Lebendimpfstoff gegen Tuberkulose.

Und ein weiterer Meilenstein der Impfgeschichte war der Erfolg von Louis Pasteur 1885 bei der Impfung eines Jungen gegen Tollwut. Später entwickelte er noch Impfstoffe gegen Geflügelcholera, gegen Milzbrand und gegen Schweinerotlauf. Er hatte somit den überzeugenden Nachweis geführt, dass – zumindest im Prinzip – eine Impfung fortan vor beliebigen Infektionskrankheiten schützen konnte.

Doch gab es auch damals schon viele Impfgegner*innen in der Bevölkerung, die sich mit Argumenten verweigerten, die den heutigen gegen eine Coronaimpfung sehr ähnlich sind. Zum einen befürchteten sie, die Vakzination sei gesundheitsschädlich. Zum anderen glaubten sie nicht an die Wirksamkeit dieses Vorgehens.

Das Abwägen

Eng mit dem wissenschaftlichen Fortschritt und den Debatten um das Für und Wider der Vakzination verwoben, ist die Geschichte der Impfpolitik. Zwar war das Impfen lange Zeit in Deutschland eine rein staatliche Sache. Doch ab den 1920er und 1930er Jahren begannen Pharmaunternehmen, Impfungen im großen Stil anzubieten und diese auch für die staatlichen Impfprogramme bereitzustellen. Daraufhin zog sich der Staat aus den staatlichen Impfprogrammen zurück, bis er seit den 1960er Jahren eigentlich nur noch eine kontrollierende Funktion einnimmt. Auch die Durchsetzung einer Impfpflicht gegen bestimmte Krankheiten wurde im Verlauf der Jahrhunderte immer mehr in die Entscheidungsgewalt jedes Individuums selbst gelegt.

Der Historiker Malte Thießen sieht die Problematik darin, dass sobald die Impfungen funktionieren, man die Krankheit nicht mehr sieht, gegen die sie wirken. Dadurch entsteht ein Spannungsverhältnis: Impfen oder nicht impfen? Das Hin und Her zwischen dem Allgemeinwohl und dem Individualwohl tritt ja in den aktuellen Debatten sehr deutlich hervor: Dieses Abwägen, zwischen den langfristigen Vorteilen einer potenziellen Herdenimmunität, und der kurzfristigen, eigenen körperlichen Unversehrtheit. Und diese Unsichtbarkeit der tatsächlichen Krankheit verstärkt die Unentschlossenheit mancher Bürger*innen.

Auch ein anderes Problem ist in seinen Augen gegenwärtig dominierend: nämlich, dass bei Impfstoffen immer dann fieberhaft geforscht wird, wenn es westliche Gesellschaften trifft. Viele Infektionskrankheiten, die eine große Bedrohung zum Beispiel auf dem afrikanischen Kontinent sind, sind auf der gesundheitspolitischen Agenda hier und auch auf der Agenda der Pharmaunternehmen nicht sehr weit oben angesiedelt. Auch weil es sich nicht gut verkauft oder nicht die politische Relevanz zu haben scheint. Beispiele dafür sind AIDS, Ebola und Malaria.

Fazit

Auch die Masern-Impfpflicht beispielsweise ist in vielen europäischen Ländern unterschiedlich. So gibt es Länder, in denen es nur eine Impfung gibt, die verpflichtend ist, andere haben ein umfassenderes Ausmaß. Die Problematik der Sichtbarkeit von Krankheiten tritt bei dem Thema Impfen aber zurzeit überall auf – sowohl in dem individuellen Handeln Einzelner als auch in den größeren globalen Zusammenhängen. Wie sehr sich diese Pandemie auf die globale Gesundheitspolitik auswirken und diese verändern wird, bleibt vorerst noch abzusehen.

Das Interview mit dem Historiker Malte Thießen, über Brüche in der Impfgeschichte und Impfkritik, könnt ihr hier vollständig nachlesen. Wenn ihr ausführlicher über den geschichtlichen Verlauf inklusive Jahreszahlen und medizinischem Know-How nachlesen wollt, geht das hier.

-Ronja-  


Das Beitragsbild ist von Markus Spiske auf Unsplash.

2 Comments
  • Selma
    Posted at 14:11h, 20 Januar Antworten

    Danke für diese gute und echt spannende Info. Habe es interessiert gelesen! 🙂

    • EineWeltBlaBla
      Posted at 14:32h, 20 Januar Antworten

      Das freut uns 🙂 Und wir waren auch überrascht wie lange die Impfgeschichte schon geht!

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