Globale Impfsolidarität statt Wohltätigkeit

Eis essen gehen. Freunde treffen. Restaurants besuchen. Seit einigen Wochen ist in Deutschland ein bisschen Normalität zurückgekehrt. Nicht zuletzt wegen fortschreitenden Impfungen waren die letzten Wochen nach dem langen Lockdown ein kleiner Lichtblick. Leider ist das nicht überall der Fall. Gerade in vielen Ländern des Globalen Südens sieht die Situation ganz anders aus. Neue Corona Wellen treffen zum Beispiel viele afrikanische Länder heftig. Die Prognosen sind beängstigend, denn durch die hochansteckende Deltavariante genügen Lockdown Regelungen nicht. Wichtig wären nun globale Impfungen, um die Ausbreitung in den Griff zu bekommen.

Eine traurige Wahrheit

Es ist schon etwas verrückt, an manchen Orten der Welt werden Impfstoffe weggeschmissen oder gehortet, während es in vielen Ländern noch nicht einmal genug Impfdosen gibt, um die Menschen mit besonders hohem Risiko für einen schweren Verlauf zu versorgen. Bisher wurden zwei Drittel aller Dosen in nur zehn Länder verteilt! Deutschland ist eines davon, heißt es in diesem Bericht der TAZ.

Manche Länder konnten sich die Impfstoffe leisten. Da diese knapp sind, müssen sich andere derweilen mit Spenden begnügen. Diese reichen jedoch bei weitem nicht, um die Pandemie einzudämmen. Viele sind über leere Versprechen der EU verärgert. Zum Beispiel wurden weniger Impfdosen gespendet als angekündigt. Bürokratische Verwirrungen machen die Situation zusätzlich schwieriger. Der Impfstoff Covishield ist nicht von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) zugelassen, wird aber im Serum Institute von Indien hergestellt, von der EU gekauft und nach Afrika gespendet.

Dadurch fühlen sich manche Menschen nicht nur wie Geimpfte ‚zweiter Klasse‘, sondern dürfen zum Beispiel nach der Impfung auch nicht in bestimmte Länder einreisen. Das führt zu Verwirrung und Verärgerung. Dieser Unmut wird in einem Bericht der Tagesschau thematisiert, in dem auch der Corona- Sonderbeauftragte der Afrikanischen Union (AU) Strive Masiyiwa seinen Frust an Europa äußert: „Sie haben so viele Leute geimpft, dass sie nun Fußball ohne Masken schauen können. Bei uns sind nicht mal ein Prozent der Menschen geimpft. Das sind die Fakten.“ Doch was kann getan werden?

Streit um Patente

Ein Patent ist das Recht auf die alleinige Verfügung über eine bestimmte Erfindung. Wenn ein Pharmaunternehmen einen Impfstoff auf den Markt bringt, wird durch ein Patent sichergestellt, dass das Unternehmen entscheiden kann, an wen der Impfstoff verkauft wird. Das Wissen darüber, wie der Impfstoff hergestellt wird, bleibt dabei Eigentum des Unternehmens. Allerdings werden dadurch der Allgemeinheit wichtige Kenntnisse vorenthalten. Viele Kritiker sehen das in Zeiten der Pandemie als moralisch stark fragwürdig. Durch das Aufheben von Patenten könnten andere Unternehmen Impfstoffe herstellen und der Bedarf könnte leichter gedeckt werden. Warum also nicht teilen?

Manche Länder, auch Deutschland, sträuben sich gegen das Aufheben von Patenten, unter anderem, weil es die zukünftige Investition in Forschung behindern könnte. Sie befürchten nämlich, dass der Anreiz, Impfstoffe in zukünftigen Pandemien herzustellen, geringer sein wird, wenn die Unternehmen wissen, dass sie ihre Erkenntnisse später teilen müssen. Doch wem gehören Impfstoffe tatsächlich? Die Sache wird noch komplizierter, wenn man sich, wie in dem Bericht der TAZ, damit beschäftigt, wem der Impfstoff eigentlich gehört. Offiziell sind das die Pharmaunternehmen. Doch auch deren Forschung und Produktion bauen auf jahrelanger öffentlicher Wissenschaft auf, manche Impfstoffe wurden sogar im Globalen Süden getestet.

Ein Vorschlag wird in dem Bericht der ARD angesprochen. Unternehmen, die die Rezeptur ihrer Impfstoffe offenlegen, sollen weiterhin am Umsatz beteiligt werden. Weitere Anreize sollen in Form von Prämien geschaffen werden.

Impfsolidarität, so kann es gehen!

Was Impfsolidarität bedeuten kann, erklärt die indische Aktivistin Varsha Gandikota-Nellutla in einem Beitrag von Weltsichten. Sie kritisiert den Westen, denn es besteht keine Strategie, um Impfproduktion globaler zu gestalten, damit in Zukunft auch im Globalen Süden produziert werden kann. Doch genau das ist wichtig. Zum einen können dadurch Abhängigkeiten gemindert werden, zum anderen wäre es bedeutend für die globale Gesundheit. Auch im Hinblick auf zukünftige Pandemien wäre das ein entscheidender Schritt. Ihr fehlt es an echter Solidarität, deshalb organisierte sie einen alternativen Impfgipfel, an dem unter anderem einige Vertreter nationaler und regionaler Regierungen von Ländern des globalen Südens teilnahmen. Mexiko und Kuba möchten übergreifend mit Ländern zusammenarbeiten. Ihre Impfstoffe und das Wissen zur Herstellung wollen sie mit allen teilen. Sie verstehen Impfstoff als öffentliches Gut!

Obwohl die zügige Lieferung akuter Impfspenden in den Globalen Süden gerade extrem wichtig ist, Wohltätigkeitsdenken wird uns nicht weiterbringen, und höchstens die Abhängigkeit der ärmeren Länder verstärken. Wir müssen die Pandemie als globales Problem begreifen. Denn die globale Ungleichheit ist nicht nur moralisch katastrophal, sie ist auch für die Länder des Globalen Nordens eine große Gefahr. Das Risiko neuer Mutationen ist hoch. Die Pandemie dadurch noch lange nicht beendet. Nur gemeinsam können wir das Virus nachhaltig bekämpfen.

Die Pandemie zu beenden: eine globale Aufgabe, die moralische Fragen provoziert. COVID-19 stellt uns zwar vor neue Herausforderungen, die sind aber historisch tief verwurzelt. Denn globale Ungerechtigkeit und ungleiche Machtbeziehungen sind keine Neuigkeit. Dies zu erkennen hat nichts mit Wohltätigkeit zu tun. Das Virus kennt keine Landesgrenzen. Wir sind alle verbunden, auf dieser einen Welt. Wenn wir nur eines aus der Pandemie lernen, dann sollte es das sein.

 

-Jules-


Das Beitragsbild stammt von Hakan Nural auf Unsplash.com.

No Comments

Post A Comment