17 Jul 2024 Getrübte Sicht: Wie uns negative Nachrichten beeinflussen
Ein Unglück, ein Skandal, eine Krise jagt die nächste. Zugeschüttet von negativen Berichterstattungen kämpfen sich Bürger*innen durch den Nachrichtendschungel. Überschwemmungen, Angriffe auf Politiker*innen, zunehmende Hasstaten, Inflation und Waldbrände. Überschriften wie „Katastrophe!“ oder „Skandal!“ fliegen den Lesenden nur so entgegen. Man könnte jetzt sagen: „Es gibt diese Nachrichten, über diese muss ja auch berichtet werden, oder?“ Doch so einfach ist das nicht.
Die Begrenztheit der Aufmerksamkeit
Zuerst muss man sich vor Augen führen, dass die menschliche Aufmerksamkeit eine begrenzte Ressource ist. Dadurch, dass sich das traditionelle Medium Zeitung in der Krise sieht, da immer weniger Menschen Zeitungen kaufen, wird diese Aufmerksamkeit zu einer wertvollen Währung für konkurrierende Online-Nachrichtenportale.
Wir lesen und konsumieren das, was uns am meisten anspricht. Aufsehenerregende Schlagzeilen und Inhalte ziehen die meiste Aufmerksamkeit auf sich, werden gelesen und generieren durch die nötigen Klicks Profite durch Werbeeinnahmen. In der schnelllebigen digitalen Welt ist dies ein Versuch, relevant zu bleiben und wirtschaftlich zu überleben. Für die Online-Nachrichtenportale ist das eine geschäftliche und ökonomische Strategie, die sich als erfolgreich erweist. Doch für die Gesellschaft und ihre Bürger*innen bleibt diese Praxis leider nicht ohne Folgen.
Sensation als Geschäftsmodell
Im Kampf um unsere Aufmerksamkeit wenden Online-Medien verschiedene Strategien an, um diese für sich zu gewinnen. Ein Vorreiter dieser Strategie war Axel Springer, der 1952 die Tageszeitung BILD gründete. Angesichts der Tatsache, dass seine konventionellen Zeitungen nicht den gewünschten Erfolg brachten, änderte er drastisch den Kurs, indem er auf das Potenzial von Skandalen und Sensationen setzte. Er analysierte das Leseverhalten und die Interessen seiner Zielgruppe und passte den Inhalt seiner Zeitung daran an, um die Verkaufszahlen zu steigern. Springer war weniger daran interessiert, den Journalismus zu verbessern, als vielmehr darauf aus, Auflagen und somit Einnahmen zu steigern (Quelle: Foreign Policy Magazine).
Dieses Prinzip hat sich in der heutigen Zeit weiter intensiviert, denn Online-Zeitungen müssen Aufmerksamkeit generieren, um in dem hart umkämpften Markt weiterhin zu bestehen.
Verzerrte Wahrnehmung: Negativitätsbias und Verfügbarkeitsheuristik
Warum setzen Medien so stark auf Sensationalismus? Der Sensationalismus spricht direkt die emotionalen Reaktionen der Lesenden an, indem er auf skandalöse, erschreckende und oft übertriebene Darstellungen setzt. Diese Technik erzeugt Angst, was Lesende dazu bringt, noch mehr Informationen zu suchen, um ihre Angst zu lindern. Durch die sensationalisierte Beschaffenheit der Medien wird diese Angst jedoch eher verstärkt statt gelindert und führt zu einem ständigen Kreislauf von Angst und Informationssuche.
Unter Beschuss durch die Online-Nachrichten-Welt wirken nämlich zwei Kräfte simultan: der Negativitätseffekt (Negativity Bias) und die Verfügbarkeitsheuristik (Availability Bias). Der Negativitätsbias beschreibt unsere Tendenz, negative Erlebnisse, Empfindungen oder Gedanken stärker zu bewerten als positive. Dadurch entsteht eine Verzerrung der Wahrnehmung, wobei positive Nachrichten viel weniger Aufmerksamkeit bekommen. In der Psychologie ist dieser Effekt gut bekannt. Der Negativitätsbias hatte in der Steinzeit eine wichtige Funktion: Es war entscheidend, sich an gefährliche Situationen zu erinnern, um zukünftige Gefahren zu vermeiden und das Überleben zu sichern (Quelle: Stangl-Lexikon).
Nun hängt unser Überleben heute zwar weitestgehend nicht mehr von solch trivialen Entscheidungen ab, diese menschliche Neigung beeinflusst uns unterbewusst aber immer noch. Somit hallen negative Nachrichten länger nach und prägen unsere Wahrnehmung stärker als es positive tun.
Der Begriff der Verfügbarkeitsheuristik beschreibt die Verzerrung, die entsteht, wenn Wahrscheinlichkeiten und Häufigkeiten falsch eingeschätzt werden. Ein Beispiel dafür ist das übersteigerte Bedrohungsgefühl durch die Berichterstattung über Kriminalität, obwohl die statistische Wirklichkeit eine geringere Bedrohung aufzeigt. Dies führt zu verzerrten Urteilen und Meinungen (Quelle: Stangl-Lexikon).
Populismus und weitere verflochtene Strukturen
Oft anzutreffen sind auch populistische Elemente. Populismus als eine politische und diskursive Strategie, die komplexe Themen stark vereinfacht und einfache Lösungen propagiert, birgt mehrere Gefahren. Zunächst führt die populistische Rhetorik zu Verzerrungen der Realität, da durch diese starke Vereinfachung von politischen und gesellschaftlichen Themen wichtige Details verloren gehen. Nur die eine Meinung wird als richtig dargestellt und verneint damit eine Pluralität an Stimmen innerhalb einer Gesellschaft und die unterschiedlichen Perspektiven, was den demokratischen, konstruktiven Diskurs erschwert.
Hinzu kommt die Polarisierung der Gesellschaft. Durch diese Strategie werden gesellschaftliche Gruppen gegenübergestellt und eine realitätsferne Unvereinbarkeit suggeriert. Das Denken in Gegensätzen zementiert eine Spaltung zwischen Menschen, die gesellschaftlichen Zusammenhalt schwächt. Das positive „Wir“ als eine homogene Gruppe und das negative „die Anderen“ und „die da oben“ sind Kategorien, die genutzt werden, um unüberwindbare Abgrenzungen zu schaffen (Quelle: bpb).
Die verzerrte Realität
Somit wird klar, dass die permanente Fokussierung auf negative Nachrichten und ihre Strategien zu einem verzerrten Bild der Realität führt. Menschen nehmen die Welt als gefährlicher und feindlicher wahr, als sie tatsächlich ist. Durch das Schüren von Ängsten verstärkt sich der gesellschaftliche Zynismus. Es trägt zur Polarisierung bei und vertieft die gesellschaftliche Spaltung. Populistische Strategien nutzen diese Dynamiken, um Misstrauen gegenüber etablierten Institutionen und demokratischen Prozessen zu streuen.
Im Grunde gut
Auch unser Menschenbild leidet aufgrund von populistischen und polarisierenden Nachrichten. Durch die negative und skandalöse Berichterstattung wird ein verzerrtes Bild der menschlichen Natur vermittelt. Durch den ständigen Konsum entsprechender Meldungen sehen wir unsere Mitmenschen vermehrt als potenzielle Bedrohung, was zu vermehrter Isolation und Misstrauen führt. Ein negatives Menschenbild wirkt wie eine selbsterfüllende Prophezeiung: Indem wir das Schlechteste in Anderen erwarten, verhalten wir uns entsprechend distanziert und misstrauisch, was wiederum negative Reaktionen hervorruft und die schlechte Erwartungen bestätigt. Das schadet dem Wohlbefinden. Das Gefühl der Bedrohung löst Angst aus, was sich zu einem Dauerstress-Faktor entwickeln kann. Studien (Quelle: Deutsche Welle) zeigen, dass der Überkonsum von negativen Nachrichten das Stressniveau erhöht, was von Symptomen wie Schlafstörungen, Depressionen und Angstzuständen begleitet werden kann.
Rutger Bregman stellt in seinem Buch eine Gegenthese auf: Der Mensch ist im Grunde gut. Er argumentiert, dass der Mensch als soziales Wesen darauf ausgelegt ist, zu kooperieren, zu helfen und mit anderen zusammenzuhalten. In diesem Zuge leugnet Bregman nicht die Gewaltbereitschaft und den Egoismus mancher Individuen, lenkt den Blick aber auf das Gute und Kooperative im Menschen. Ein positives Menschenbild ist wichtig, um das Vertrauen und die Hilfsbereitschaft innerhalb der Gesellschaft zu fördern. Dadurch kann eine Gesellschaft mit starkem Zusammenhalt und guter Gemeinschaft entstehen (Quelle: Deutschlandfunk).
Konstruktiver Medienkonsum: Ein Ausweg
Wie können wir uns gegen diese negativen Effekte wappnen und trotzdem Medien konstruktiv konsumieren? Zunächst einmal ist die bewusste Auswahl der Nachrichtenquelle wichtig. Das Setzen auf qualitativ hochwertige und ausgewogene Berichterstattung führt zu einem sachlichen Informiertsein, ohne auf emotionale Weise gelenkt zu werden.
Durch kritisches Hinterfragen können die Absichten hinter einer Schlagzeile und ihrem Inhalt erkannt werden. Handelt es sich hier um eine Sensationsalisierung oder Emotionalisierung meiner Wahrnehmung oder geht es um einen sachlichen, konstruktiven Diskurs, innerhalb dessen mehrere Stimmen Platz und Berechtigung haben? Wie viel Raum lässt mir der Artikel, um mir meine eigene Meinung bilden zu können? .
Positive News als Gegenkonzept
Ein wirksamer Weg, um dem negativen Trend entgegenzuwirken, besteht darin, gezielt positive Nachrichten zu lesen. Plattformen wie GoodNews konzentrieren sich ausschließlich auf positive Ereignisse und Erfolge zum Beispiel in den Bereichen Umweltschutz, Bildung oder soziale Gerechtigkeit.
Abschließend lässt sich sagen, dass Nachrichten wichtig sind, um informiert zu bleiben und an gesellschaftlichen Diskursen teilzunehmen. Auch negative, erschütternde Nachrichten muss es geben. Es ist jedoch entscheidend, sich der kognitiven Verzerrungen und der ökonomischen Strategien bewusst zu sein, die die Art und Weise beeinflussen, wie Nachrichten produziert und konsumiert werden.
Die selbsterfüllende Prophezeiung funktioniert in beide Richtungen. Wenn wir mehr Positives erwarten und wahrnehmen, begegnen wir der Welt und unseren Mitmenschen mit mehr Vertrauen und Offenheit. Das fördert nicht nur das Wohlbefinden, sondern stärkt auch den sozialen Zusammenhalt und trägt zu einer ausgeglicheren und optimistischeren Sicht auf die Welt bei.
Indem wir unseren Medienkonsum kritisch und bewusst gestalten, können wir dazu beitragen, dass der öffentliche Diskurs konstruktiver wird und die Integrität der Demokratie geschützt bleibt.
Von Alexandra Böhler
Bild: Emanuele Toscano, lizenziert unter [CC BY-NC-ND 2.0] (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/).
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