Der Westsahara-Konflikt

Die Bilder tausender Migrant*innen auf den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla gingen in den letzten Tagen durch die Nachrichten. Die beiden Exklaven liegen auf dem Kontinent Afrika, gehören aber zu Spanien und zur EU. Für Marokkaner*innen sind diese Exklaven die erste Anlaufstelle auf ihrem Weg in die EU. Besonders durch die pandemiebedingten Grenzschließungen zwischen Marokko und den spanischen Exklaven, die rege Handelsbeziehungen führen, haben viele Menschen ihren Job verloren und sehen sich deshalb gezwungen, ihre Heimat Marokko zu verlassen. So schwimmen sie nach Ceuta, setzen in Schlauchboten über oder laufen bei Ebbe den Weg in die EU. Dies ist möglich, da die Sicherung der Grenzkontrollen Marokkos, die von Spanien durch millionenschwere Zahlungen an Marokko eigentlich sichergestellt wird, vor einigen Tagen ausgesetzt wurde – ein politisches Druckmittel. Hintergrund ist dabei neben den pandemiebedingten Problemen jedoch auch der Westsahara-Konflikt. Doch worum geht es in diesem Konflikt und wie nutzt Marokko nun Migrant*innen als Druckmittel gegen die EU?

Die Westsahara in Kontrolle durch Spanien

Auf der Kongo-Konferenz von November 1884 bis Februar 1885 in Berlin wurde die Westsahara Spanien zugeteilt. Daraufhin begann Spanien mit der Kolonialisierung des Gebiets und unterdrückte über Jahrzehnte die aufkommende Rebellion gegen die spanische Vorherrschaft der sahrauischen Bevölkerung. So gründete sich 1973 noch während der spanischen Kolonialherrschaft die Volksfront zur Befreiung von Saguia el-Hamra und Rio de Oro, kurz Polisario-Front. Zur gleichen Zeit begannen die afrikanischen Staaten Marokko und Mauretanien Anspruch auf die Region zu legen. Am 6. November 1975 wurden 350.000 Marokkaner*innen von ihrem König Hassan II. im Rahmen des Grünen Marsches aufgerufen, die Grenze zur Westsahara zu überqueren, nachdem zuvor bereits das marokkanische Militär in den Norden der Region vorgedrungen war. Viele Sahrauis flüchteten vor der marokkanischen Invasion, die mit massiver Gewalt einherging, in die algerische Provinz Tindouf und erbauten dort Flüchtlingslager. Nachdem bereits Marokko in den Norden des Gebiets vorgedrungen war, begann auch Mauretanien in die Westsahara durch den Süden einzumarschieren. Im Rahmen des Drei-Parteien-Abkommens in Madrid wurde die Westsahara am 14. November 1975 zu zwei Dritteln im Norden an Marokko und zu einem Drittel im Süden an Mauretanien vergeben. Spanien zog sich in Folge des Abkommens 1976 komplett aus der Westsahara zurück.

Bewaffnete Konflikte bis 1991

Die Übergabe der Westsahara an Marokko und Mauretanien führte zu einem jahrzehntelangen bewaffneten Konflikt zwischen der Polisario-Front und Marokko. In ihren Unabhängigkeitsbestrebungen rief die Polisario-Front am 27. Februar 1976 die Demokratische Arabische Republik Sahara (SADR) aus und gründete eine Exilregierung in Algerien. 1979 zog sich Mauretanien aus dem südlichen Teil der Westsahara zurück, woraufhin Marokko versuchte auch den südlichen Teil einzunehmen. Im Rahmen der bewaffneten Konflikte flohen tausende Sahrauis aus ihrer Heimat. Erst 1991 wurde durch diplomatische Intervention der UN ein Friedensabkommen durch beide Seiten unterzeichnet, das vorerst zu einer Waffenruhe führte.

Ein Referendum für die Westsahara, das bis heute aussteht

Teil des Friedensabkommens war jedoch auch ein Unabhängigkeitsreferendum, bei dem die Sahrauis selbst über ihre Unabhängigkeit abstimmen sollten. Dieses Referendum hat bis heute nicht stattgefunden. Dies liegt vor allen an den Streitigkeiten über die Wahlberechtigten. Die Polisario-Front sieht alle wahlberechtigt, die bereits vor dem Abzug Spaniens in der Westsahara lebten. Marokko hingegen möchte alle zu einer Stimme berechtigen, die familiäre Beziehungen in die Region haben, was durch die massiven marokkanischen Siedlerbewegungen in die Westsahara vorteilhaft für das Königreich wäre. 2003 schlug die UN im Rahmen des Baker-Plans einen neuen Vorschlag zur Volkszählung vor. Dieser wurde von der Polisario-Front akzeptiert. Marokko lehnte ab und erklärte zudem, dass es keinem Referendum mehr zustimmen würde, in dem die Unabhängigkeit der Westsahara festgeschrieben ist. So steht der Westsahara durch das 1991 verabschiedete Friedensabkommen auch heute immer noch ein Referendum zu.

Die Westsahara heute

In den Teilen der Westsahara, die von Marokko kontrolliert sind, stellen die Sahrauis mittlerweile in eine Bevölkerungsminderheit dar. Das liegt vor allem an Anreizen Marokkos für die eigene Bevölkerung in das Gebiet überzusiedeln. Diese werden mit dem Bau von Häusern und Jobmöglichkeiten in die Westsahara gelockt. So machen die Sahrauis im marokkanischen Teil der Westsahara lediglich 20 Prozent der Bevölkerung aus, während 79 Prozent marokkanische Zivilist*innen und Angehörige des Militärs sind. Die Mehrheit der sahrauischen Bevölkerung lebt in Flüchtlingslagern im Exil in Algerien. Dort sind vier große Lager entstanden, die nach den großen Städten der Westsahara benannt sind. In einem fünften Lager sind die sahrauischen Institutionen untergebracht. Innerhalb der Lager haben sich kleine Gemeinden und Stadtteile gebildet, die von der Polisario-Front und der Exilregierung verwaltet werden. Die Demokratische Republik Sahara, die 1976 von der Polisario-Front ausgerufen wurde, ist Teil der Afrikanischen Union. Bemerkenswert ist, dass es sich bei der SADR um einen Staat im Exil handelt, dessen Basis ein Flüchtlingslager bildet.

Der Konflikt Marokkos mit der EU

Die UN hat eine diplomatische Intervention im Westsahara-Konflikt mittlerweile so gut wie aufgegeben und toleriert die marokkanische Vorherrschaft in der Region. Marokko profitiert von den Ressourcen in der Westsahara und baut in Massen Phosphat ab. Viele Unternehmen, darunter auch europäische wie Siemens, bauen im Norden Windparks, die den nötigen Strom dafür liefern. Auch vom Fischreichrum der Westsahara profitieren Marokko und die EU. Durch ein Abkommen des Königreichs mit der Europäischen Union wird Spanien Fischfang vor Ort ermöglicht.

Im November vergangenen Jahres flammte erneut ein gewaltsamer Konflikt auf, nachdem Marokko einen Grenzübergang errichtete, der gegen das Friedensabkommen verstößt. Diese Handlungen lenkten den Blick der Welt und besonders der EU wieder auf den Westsahara-Konflikt. Innerhalb der Europäischen Union haben Marokko und die Westsahara unterschiedliche Partner. Marokko wird immer wieder von Frankreich unterstützt und die spanische Regierung entzieht sich ebenfalls ihrer Verantwortung gegenüber den Sahrauis. Da sich Deutschland für die Unabhängigkeit der Westsahara ausgesprochen hat, hat Marokko Anfang Mai kurzerhand seine Botschafterin aus Berlin abgezogen. Jüngst hat Marokko dann auch noch vorläufig die Grenzkontrollen an den spanischen Exklaven vorläufig ausgesetzt, um Druck auf die EU auszuüben. All das, um ein Gebiet zu kontrollieren, das eigentlich unabhängig sein sollte.

-Leah-


Das Beitragsbild stammt von Daniel Born auf Unsplash.com und zeigt eine Landschaft in Westsahara.

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