Der Konflikt in Tigray – Hintergründe, Auswirkungen und Berichterstattung

Seit den Reformbemühungen des amtierenden Ministerpräsidenten Äthiopiens, Abiy Ahmed, der seit April 2018 im Amt ist, eskaliert der Streit mit dem Koalitionspartner, der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF). Die hart umkämpfe Region Tigray im Norden des Landes ist vor allem wegen ihrer geografischen Lage am Horn von Afrika als Zentrum der asiatisch-arabisch-afrikanischen Handelswege besonders wichtig ist. Tigray wurde jedoch zum Kriegsgebiet, in dem immer wieder von massiven Menschenrechtsverletzungen berichtet wird. Doch nur wenige Informationen gelangen nach außen. Journalist*innen, die über Tigray berichten, werden eingeschüchtert, verfolgt oder inhaftiert. Deshalb flüchten viele ins Nachbarland Kenia und versuchen von dort weiterhin über die Region zu berichten. Doch worum geht es in dem Konflikt überhaupt und wie wird darüber berichtet?

Hintergründe des Konflikts

Im April 2018 trat Abiy Ahmed das Amt des Ministerpräsidenten von Äthiopien an. Mit ihm wurden viele Hoffnungen verknüpft – besonders der jahrzehntelange Konflikt mit dem Nachbarland Eritrea sollte unter seiner Regierung gelöst werden. Dies gelang ihm mit einem Friedensvertrag, der im Juli 2018 von beiden Ländern unterzeichnet wurde und ihm 2019 sogar den Friedensnobelpreis für seine Reformbemühungen bescherte. Doch nicht alle profitierten von seinem Reformkurs in gleichem Maße. Während er vor allem ethnischen Minderheiten in Äthiopien neue Freiheiten gab und politische Gefangene entließ, bedeutete der Kurswechsel für den Koalitionspartner TPLF den Verlust an Einfluss und Macht. Die Eliten der Region Tigray fühlten sich durch Abiy Ahmeds Politik zunehmend marginalisiert und zogen sich 2019 komplett aus der Regierungskoalition zurück, nachdem der Ministerpräsident viele führende TPLF-Funktionäre aus der Regierung drängte.

Seitdem spitzt sich der Konflikt zwischen der Zentralregierung und der in Tigray weiter regierenden TPLF weiter zu. Im Sommer 2020 sagte die Regierung wegen der anhaltenden Pandemie die Wahlen ab, was die TPLF als illegal bezeichnete. Zugleich hielten diese dann im September in Tigray eine Kommunalwahl ab, die von der Zentralregierung als illegal bezeichnet wurde. Doch die TPLF erklärte sich nach der Wahl zum Sieger und beanspruchte daraufhin die rechtliche Zuständigkeit für die Region. Als Reaktion darauf ließ die Zentralregierung finanzielle Mittel zum Nachteil der TPLF umleiten. Schließlich eskalierte der Konflikt daraufhin auch militärisch, wobei jede Seite der anderen vorwirft, mit den Kämpfen begonnen zu haben. Nachdem Eritrea lange abgestritten hatte, in den Konflikt involviert zu sein, ist seit November die Beteiligung des Landes vom Ministerpräsidenten Abiy Ahmed selbst bestätigt.

Berichterstattung über Menschenrechtsverletzungen in Tigray

Die Informationslage über Massaker und Kriegsverbrechen in der umkämpften Region ist schlecht. Immer wieder werden Journalist*innen, die über Tigray berichten, vor allem von der Regierung eingeschüchtert, verfolgt, vertrieben oder inhaftiert. Dabei wird ihnen oft vorgeworfen, die TPLF zu unterstützen. Bereits im November hat die Regierung die Telefon- und Internetverbindung in Tigray stark eingeschränkt, was Journalismus vor Ort zunehmen erschwert. Dennoch versuchen Medienschaffende und Menschenrechtsorganisationen weiterhin für Aufklärung und Berichterstattung der Vorkommnisse in Tigray zu sorgen.

Amnesty International

Ein im Februar erschienener Bericht von Amnesty International belegt, dass im November 2020 systematisch hunderte unbewaffneten Zivilist*innen ermordet wurden. Diese Massaker sind laut Amnesty von eritreischen Streitkräften verübt worden und haben sich in Folge der Einnahme der Stadt Aksum in Tigray abgespielt. In Gesprächen mit 41 Überlebenden und Zeug*innen konnte Amnesty über 240 Namen der Opfer sammeln, andere Medien wie BBC oder AP haben Opferzahlen von bis zu 800 genannt. Die genaue Opferzahl kann nicht bestätigt werden, auch weil viele nicht mal von den Angehörigen selbst sondern in Massengräbern beigesetzt wurden. Doch die gesammelten Fakten bestätigen das grausame Vorgehen der militärischen Gruppen in Tigray, die unbewaffnete und unbeteiligte Zivilist*innen im Streit um die Region massenhaft ermorden. Die Zentralregierung hat zu den Vorwürfen Amnestys bisher keine Stellung genommen. Ende März 2021 erklärte der Ministerpräsident jedoch überraschenderweise, dass die Truppen Eritreas aus der Konfliktregion abgezogen werden würden. Der Konflikt tobt jedoch weiter, auch ohne eritreische Truppen.

Äthiopische Journalist*innen

Doch nicht nur Amnesty setzt alles daran über die Menschenrechtsverletzungen in Tigray zu berichten. Viele Journalist*innen riskieren ihre persönliche Sicherheit, um die Menschen weiterhin über die Lage in der Konfliktregion im Bilde zu halten. Dabei mussten viele aus Angst vor einer Inhaftierung bereits das Land verlassen. So erzählt ein Journalist der Tagesschau, dass er bedroht wurde, weil er nicht nur die äthiopische Regierung, sondern auch Menschen aus Tigray selbst zu Wort kommen ließ. Mehrere Journalist*innen haben nun in Kenia einen Radiosender aufgebaut und versorgen die Äthiopier*innen direkt aus ihrem Wohnzimmer mit wichtigen Informationen. Journalismus aus erster Hand ist von Kenia aus nicht möglich, daher müssen sie immer wieder auf Quellen internationaler Medien oder Berichte von Menschenrechtsorganisationen zurückgreifen. Manchmal bekommen sie jedoch auch Anrufe von Kontaktpersonen, wenn das Telefon in Tigray funktioniert. Durch ihre Arbeit bekommen die Menschen vor Ort so weiterhin Informationen – vor allem jene, die kein Englisch können und kein Internet haben.

Weitere Informationen

Deutschlandfunk bietet viele allgemeine Informationen über den Tigray-Konflikt, wenn du mehr über die Hintergründe und die aktuelle Lage erfahren möchtest. Hier gibt es ein Informationsvideo über die Lage in Tigray von Februar 2021. In einer aktuellen Folge der Podcast-Reihe Frieden und Eintracht International spricht Omid Nouripour mit Mehret Haile, die lange als Entwicklungsberaterin in Tigray tätig war, die Lage in ihrem Heimatland Äthiopien intensiv begleitet und hier über den Tigray-Konflikt berichtet.

-Leah-


 Das Beitragsbild ist aufgenommen von Rod Waddington und zeigt Tigray.

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