Die EU und Libyen: Ist die restriktive Migrationspolitik der EU mit ihrem außenpolitischen Ziel der Demokratieförderung vereinbar?

Außenpolitische Ziele der EU

Die Europäische Union gilt als normative Zivilmacht, die sich aus Ländern mit Demokratie und liberaler Marktwirtschaft zusammensetzt. Seit dem Ende des Kalten Krieges ist auch die externe Demokratieförderung ein wichtiges außenpolitisches Ziel der EU. Dafür knüpft sie Beziehungen mit anderen Ländern an bestimmte Konditionen wie die Achtung von Menschenrechten, die Förderung von Rechtsstaatlichkeit und demokratischen Institutionen. Gleichzeitig hat die EU andere außenpolitische Ziele wie den Kampf gegen den internationalen Terrorismus und irreguläre Migration. Die EU knüpft Unterstützung daher an potenzielle Hilfe beim „Migrationsmanagement“. Man fokussiert sich auf Staaten, die als Hauptherkunft- oder -transitländer von Migrant*innen und Geflüchteten gelten und stattet dabei auch solche Staaten finanziell und mit Ressourcen aus, die über keine stabilen staatlichen Strukturen verfügen. Es scheint, als sei die Sicherung der außereuropäischen Grenzen, die Abschottung der „Festung Europa“ wichtiger als Stabilisierung und Unterstützung von Demokratie vor Ort. Stimmt das?

Situation in Libyen

Libyen gilt als gescheiterter Staat, in dem weder die Regierung noch politische Institutionen einen legitimen Anspruch auf das Gewaltmonopol haben. Stattdessen stehen sich Milizen gegenüber, die sich seit 2011 in bereits drei Bürgerkriegen bekämpft haben. Im Zuge des Arabischen Frühlings ist das diktatorische Gaddafi-Regime gestürzt worden, jedoch hat sich die Hoffnung auf eine sich einstellende Demokratie nicht erfüllt. 2014 ist die vorübergehende Einheitsregierung zerbrochen und führt seitdem zu einer gewaltigen Spaltung des Landes: in die Region Tripolis im Westen, in der die international anerkannte Übergangs-Einheitsregierung die Macht beansprucht und den Osten um Bengasi und Tobruk, in der die Armee unter Khalifa Haftar herrscht. 2019 kam es durch einen Angriff Haftars auf Tripolis zum Ausbruch eines dritten Bürgerkrieges. Seit Oktober 2020 herrscht zwar ein Waffenstillstand und für Dezember 2021 sind Wahlen geplant, doch die Lage ist weiterhin sehr instabil. Dies führt auch dazu, dass in Libyen mehrere Fluchtrouten zusammenlaufen, denn die staatlichen Institutionen sind nicht in der Lage, ihre Grenzen zu sichern.

EU und Libyen

Hier kommt die EU ins Spiel: Die EU unterstützt zwar das Libysche Politische Dialogforum (LPDF) der VN, das sich auf die Einheits-Übergangsregierung und die Wahlen im Dezember geeinigt hat. Auch Deutschland trägt mit dem Austragen der VN-Berliner Prozesse (Januar 2020, Juni 2021) einen Teil zur Wiederherstellung von Frieden und Stabilität bei. Gleichzeitig verwendet die EU den relativ größten Anteil ihres „Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika“ (EUTF) für Libyen, um damit auch die Kapazitäten des libyschen Grenzschutzes zu stärken. In der Malta-Erklärung von 2017, mit der die EU das zuvor abgeschlossene italienisch-libysche Memorandum of Understanding bestätigte, steht, dass die libysche Küstenwache insofern ausgebildet werden soll, dass sie Migrant*innen noch vor Erreichen von europäischem Gewässer oder Territorial zurückholt. Das Ziel ist, die Zentrale Mittelmeerroute, die seit dem EU-Türkei-Deal von 2016 zur wichtigsten – und gefährlichsten – Fluchtroute nach Europa geworden ist, zu schließen.

Externalisierung von europäischer Verantwortung

Doch Menschenrechtsorganisationen berichten immer wieder, dass Geflüchtete in Libyen willkürlich inhaftiert, gefoltert oder sogar getötet werden. Das Geschäft mit Menschenhandel und -schmuggel ist lukrativ und so werden Menschen, wenn sie nicht selbst versuchen, so schnell wie möglich das Land zu verlassen, teilweise auf Boote gezwungen, um in Auffanglagern und Gefängnissen neuen Platz zu schaffen, aus denen man sich für viel Geld freikaufen muss. Die EU externalisiert auf diese Weise ihre Verantwortung, sich an die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) von 1951 zu halten, die besagt, dass Menschen nicht in ein Land zurückgeführt werden dürfen, in dem ihr Leib oder Leben bedroht wäre oder sie Verfolgung befürchten müssen. Libyen hat die GFK nie ratifiziert. Auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) von 2012, das italienische Rückführungen nach Libyen von Migrant*innen ohne Prüfung auf einen eventuellen Schutzanspruch als illegal einstufte, kann so umgangen werden.

Was sollte die EU stattdessen tun?

Die EU muss anerkennen, dass Migration nicht gestoppt werden kann – und sollte. Mit ihrer Abschottungspolitik fördert die EU irreguläre Migration und Menschenschmuggel, statt es zu bekämpfen. Dabei erklären sich immer mehr Kommunen, v. a. in Deutschland, als sichere Häfen, die bereit sind, mehr Menschen aufzunehmen. Die EU sollte sich für einen veränderten gesellschaftlichen Diskurs zum Thema einsetzen, der die Potenziale von Migration aufzeigt: Die Schaffung legaler Migrationswege kann die Entwicklung vor Ort durch Heimatüberweisungen und Distribution von in einer liberalen Demokratie erlernten Werten vorantreiben. Migrantische Arbeitskräfte wirken auch dem Arbeitskräftemangel und demografischen Wandel hierzulande entgegen. Die meisten Geflüchteten, die nach Libyen kommen, sind auf der Suche nach Arbeit und haben gleichzeitig eine hohe Wahrscheinlichkeit, die Flüchtlings- oder sogar Asylanerkennung auf europäischem Boden zu erhalten. Durch ihre derzeitige Migrationspolitik setzt die EU stattdessen die eigene Sicherheit über Menschenrechte und ihren Anspruch, Demokratie zu fördern. Durch das Zulassen von Migration bei gleichzeitig verstärkter Unterstützung von Einigungsprozessen in Libyen schützt die EU auch ihr Ansehen als normative Zivilmacht sowie die Legitimität ihres Anspruchs auf Demokratieförderung in anderen Ländern.

-Mara Schaffer-


Das Beitragsbild stammt von Sara Kurfeß auf Unsplash.com .

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