Die große weite undemokratische Welt – Teil IV

Dies ist schon der letzte Teil der Reihe auf diesem Blog. Bisher haben wir uns mit Pressefreiheit, autokratischen Systemen und einem grundlegenden Verständnis von Demokratie befasst. Heute wollen wir den Blick auf ein Thema richten, das wie kein anderes viele Demokratien heutzutage herausfordert und bedroht. Wahrscheinlich ist auch Euer Feed ausreichend gefüllt mit dem Thema und Push-Mitteilungen dazu kommen regelmäßig.

Angriff auf die Demokratie von innen – Rechtspopulismus world wide

Vielleicht habt Ihr es auch schon erraten. In dem letzten Beitrag soll es um das Thema „Rechtspopulismus“ gehen. Nicht ohne Grund findet das Thema so viel Beachtung. Rechtspopulistische Parteien können immer größere Wahlerfolge feiern und haben in einigen Ländern bereits Regierungen stellen können. Wenn wir an Rechtspopulismus denken, kommt uns wahrscheinlich zunächst der deutsche Fall, die AfD, in den Kopf. Aber das Phänomen beschränkt sich keinesfalls auf unser politisches System. Der in Frankreich aktive Rassemblement National oder die Freiheitliche Partei Österreichs sind ebenfalls bei uns in den Nachrichten regelmäßig Thema. Und der Mann, der wohl aktuell am meisten Schlagzeilen produziert, Donald Trump, ist durchaus auch als Rechtspopulist zu bezeichnen. Doch darüber hinaus gibt es weltweit noch weitere Fälle, die teilweise sehr in das Muster Rechtspopulismus passen, teilweise zumindest in einigen Aspekten: Zum Beispiel der ehemalige Präsident Brasiliens, Jair Bolsonaro; der indische Präsident Narendra Modi, Giorgia Meloni in Italien und José Kast hat Chancen die Präsidentschaftswahl in Chile Ende des Jahres zu gewinnen. Die Liste ließe sich noch weiterführen.

Warum erstarken rechtspopulistische Parteien? Wie soll man mit ihnen umgehen? Wer wählt diese Parteien? Alles Fragen, die den aktuellen Diskurs prägen und zu denen die meisten wahrscheinlich schon den ein oder anderen Artikel gelesen, eine Talk-Show, ein Video oder ein Reel gesehen haben. Doch trotzdem glaube ich, dass Ihr in dem Beitrag noch etwas Neues lernen könnt! Viel Spaß beim Lesen!

Rechtspopulismus basics

Allgemein werden Parteien stets auf einer links-rechts-Skala eingeordnet. Doch immer wieder werden Stimmen laut, die beanstanden, dass dieses Vorgehen mit den Parteien heutzutage nicht mehr funktioniert und zu kurz greift. Und was heißt überhaupt links und rechts? Für eine erste Orientierung lässt sich sagen: Linke Parteien stehen für einen in die Wirtschaft eingreifenden Staat ein, der das Ziel verfolgt, Ungleichheiten aufzuheben. Außerdem sind kulturelle Werte wie der Multikulturalismus, Akzeptanz und Gerechtigkeit im Zentrum linker Parteien. Rechte Parteien prägt ein Verständnis von einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung, in die der Staat so wenig wie möglich eingreifen sollte, um wirtschaftliche Prozesse nicht zu gefährden. Kulturell vertreten rechte oder auch konservativ genannte Parteien traditionelle Werte und wollen diese bewahren. Wichtig zu erwähnen ist, dass Parteien je nach Land ihre Eigenheiten aufweisen. Beispielweise die Idee einer gesetzlichen Krankenversicherung für alle: Bei uns über die Parteien hinweg Konsens. In den USA hingegen wird der Vorschlag solch ein System einzuführen von vielen als linke Ideologie abgetan.

Ganz allgemein ist die links-rechts Einordnung von Parteien auf den beiden Achsen, wirtschaftlich und kulturell, jedoch sehr hilfreich, um Parteien in einem und zwischen politischen Systemen miteinander zu vergleichen. Die meisten Parteien sind in beiden Dimensionen kongruent, das heißt eine wirtschaftlich linke Partei steht auch kulturell links und anders herum. Doch durch Parteien wie das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ ist eine allgemeine links-rechts Einordnung nicht mehr sinnvoll und ein differenzierter Blick ist notwendig.

Rechtspopulistische Parteien zeichnen sich vor allem durch ihre Positionen auf der kulturellen Ebene aus, weshalb die wirtschaftliche Ausrichtung weniger von Interesse ist. In der Politikwissenschaft wird das Aufkommen und das Erstarken dieser Parteienfamilie oft mit einer „kulturellen Gegenrevolution“ erklärt. Dieser Erklärung folgend schlägt das Pendel nach einer Zeit der eher linken kulturellen Vorherrschaft nun in die andere Richtung aus. Doch was genau ist diese andere Richtung? Welche Ideologie verbirgt sich hinter dem Rechtspopulismus?

Ideologie der Rechtspopulisten

Ganz allgemein lassen sich drei Oberbegriffe nennen, um die Ideologie rechtspopulistischer Parteien zu beschreiben: Nativismus, Autoritarismus und Populismus. Alle drei Begriffe bedürfen einer kurzen Erläuterung:

Nativismus

Nativismus ist das zentrale Element der Parteienfamilie. Doch das Wort findet im Deutschen kaum Verwendung. Es verbindet Nationalismus mit Xenophobie. Noch mehr Fremdwörter, doch es ist nicht so kompliziert wie es klingt. Nationalismus ist die Idee einer festen Nation, die sich beliebig ausfüllen lässt. Die Frage danach wer dazugehört und wer nicht ist für Rechtspopulist*innen von großer Bedeutung. Vor allem die Ethnie, also die Abstammung, wird als Kriterium angeführt. Xenophobie ist allgemein die Angst vor dem Fremden. In Verbindung mit Nationalismus ist die Xenophobie so ausgeprägt, dass Angehörige anderer Kulturen, anderer Ethnie usw. als Gefahr gesehen werden. Die Angst vor der Übernahme oder vor dem Verlust der eigenen Kultur wird als Motivation für politisches Handeln mit als Erstes angeführt und dient als Grundlage der Parteien.

Autoritarismus

Autoritarismus beschreibt sowohl eine Herrschaftsform als auch eine Art der Führung oder der Erziehung. Bei rechtspopulistischen Parteien beschreibt Autoritarismus den Wunsch nach mehr „Recht und Ordnung“, nach einem stärkeren Durchgreifen und generell nach einem rigorosen handelnden Staat. Auch wenn dieses Durchgreifen nicht mehr im demokratischen Rahmen liegt.

Populismus

Zuletzt bleibt das Konzept Populismus. Das ist kein Alleinstellungsmerkmal rechtspopulistischer Parteien. Es gibt ebenfalls auf der linken Seite des Parteienspektrums populistische Parteien und ein gewisses Maß an Populismus ist in nahezu allen Parteien zu finden. In der Politikwissenschaft wird Populismus oft als „dünne Ideologie“ oder als „Chamäleon-Ideologie“ beschrieben. Damit wird gemeint, dass Populismus nicht allein auftreten kann. Er braucht eine Kernideologie, an die er sich heften kann und dessen Färbung er übernimmt. Populismus meint generell, dass die Gesellschaft in zwei Gruppen getrennt wird, die einander gegenüberstehen: „die Eliten“ gegen „das Volk“. Beide Gruppen bekommen Attribute zugeschrieben: Die Elite sei durchweg schlecht und arbeite gegen die Interessen des Volks. Das Volk habe einen geeinten Willen und den gelte es durchzusetzen. Je nach Färbung des Populismus kann „die Elite“ und „das Volk“ anders gedeutet werden. Im Falle des Rechtspopulismus sind die etablierten politischen Akteure die Elite, die es zu bekämpfen gilt. Das Volk korrespondiert mit der nativistischen Ideologie und gründet sich auf dem Verständnis der Nation aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit.

Theorie, check – doch wie sieht Rechtspopulismus in der Realität aus?

Rechtspopulistische Parteien und ihre Erfolge haben in einigen Ländern lange Tradition. In anderen, wie Deutschland, sind sie relativ neue Erscheinungen. Ganz allgemein lässt sich jedoch ein Boom erkennen, der das jeweilige politische System herausfordert. Doch warum stellen diese Parteien eigentlich eine Herausforderung für die Demokratie dar? Sind sie nicht demokratisch gewählt worden?

In den meisten Fällen sind die Parteien unter demokratisch einwandfreien Bedingungen gewählt worden. Doch das heißt nicht, dass sie nicht problematisch sind. Vielleicht erinnert Ihr euch noch an den ersten Beitrag der Reihe. Zur Demokratie gehören nicht nur Wahlen, sondern weitere politische Rechte. Ein Recht, das massiv unter aufsteigenden Rechtspopulist*innen bedroht ist, ist der Minderheitenschutz. In der Demokratie erfordert es Mehrheiten, um Anliegen umzusetzen. Doch es gibt unveräußerliche Rechte, die jedem Menschen zustehen, ob Mehrheit oder Minderheit. Politische Forderungen, die aufgrund der Ethnie Unterschiede machen, stehen dem entgegen.

Ein weiterer besorgniserregender Punkt ist, dass rechtspopulistische Parteien nicht davor zurückschrecken geltendes Recht zu brechen und demokratische Strukturen zurückzufahren. Besonders das Justizsystem, die Gerichte, und die Medien (siehe Teil III der Reihe) sind beliebte Ziele. Aktuell ist der Angriff der Trump Administration auf das demokratische System der USA ein erschütterndes jedoch auch sehr anschauliches Beispiel: Urteile von Gerichten werden ignoriert, Beamte rechtswidrig entlassen, ganze Behörden im Rekordtempo geschlossen. Die nicht anerkannte Wahlniederlage 2020 und der Sturm auf das Kapitol im Januar 2021, dunkle Tage der US-amerikanischen Demokratie.

Nicht zuletzt zeigt ein Blick in die Geschichte wohin rechtspopulistische Parteien in Regierungsverantwortung führen können. Die Frage, warum diese Parteien ein Problem für die Demokratie darstellen, lässt sich so ganz einfach beantworten.

Wahlerfolg der rechtspopulistischen Parteien

Warum werden diese Parteien mit ihren extremen Ansichten und Forderungen so stark gewählt? Diese Frage treibt gerade wohl viele Menschen um. Die Antwort lässt sich nicht in diesem Blogbeitrag beantworten. Auch die Forschung kann nicht mit Sicherheit sagen, was die Determinanten sind, die den Aufschwung der Rechtspopulist*innen befeuern. Die bereits erwähnte These der kulturellen Gegenrevolution ist eine Erklärung. Andere sehen eher die Angst des wirtschaftlichen Abstiegs und Statusverlusts als Treiber. Wieder andere merken die Repräsentationslücke auf dem rechten Rand des Parteienspektrums an, in die die Parteien vorgedrungen sind. In jeder Erklärung kann etwas Wahrheit stecken. Gesichert lässt sich sagen, dass diese Parteien vor allem von Männern gewählt werden und die extreme Ausrichtung Menschen anspricht und sie zur Wahl der Partei bewegt. Zunächst angestellte Vermutungen über eine „Protestwahl“ oder das extreme Äußerungen lediglich hingenommen werden, der Grund für die Wahl aber eher woanders läge, gelten mittlerweile weitgehend widerlegt. Die anhaltenden Erfolge zeigen, dass die Parteien gerade aufgrund ihrer extremen Ausrichtung gewählt werden.

Auf der anderen Seite: Die Forschung zeigt auch, dass in den meisten Gesellschaften rund 2/3 der Bevölkerung angibt, die rechtspopulistische Partei strikt abzulehnen und niemals wählen würde. Durch die extremen Standpunkte polarisieren die Parteien die Gesellschaft sehr und zumindest aktuell scheint der Anteil der Gegner weitaus größer zu sein. Ein gutes Zeichen für die Demokratie und die demokratische Kultur!

Demokratie braucht…

In nun vier Beiträgen hat die Reihe eine Geschichte erzählt. Die Geschichte von Demokratie, wie es um sie steht, was zu ihr gehört und was für Gefahren auf sie lauert. „Die große weite undemokratische Welt“ – diese Beschreibung trifft auf die Welt heute besser zu als die Welt von vor 10 Jahren.

Demokratie lebt, ist fragil, muss genährt werden.

Demokratie braucht Menschen. Menschen, die für ihre Ideen streiten, in den Austausch gehen, miteinander lernen einen Kompromiss zu finden.

Demokratie braucht Respekt. Respekt gegenüber den anderen, deren Rechte und Meinungen.

Demokratie braucht Mut. Für sie einzustehen und sie nicht an seine Ängste zu verkaufen.

Demokratie braucht Bildung. Um zu erkennen was falsch und was richtig ist. Um den Unterschied zu erkennen zwischen einer anderen Ansicht und einer für die Demokratie bedrohlichen Haltung.

Ich hoffe die Reihe hat Euch etwas Neues erfahren lassen und inspiriert den eigenen Horizont zu erweitern. An der Stelle sei noch einmal auf die Arbeit hinzuweisen, die viele Institutionen fortlaufend betreiben, um uns mit Informationen zu versorgen, beispielsweise die Bundeszentrale für politische Bildung oder Forschungsinstitute wie Freedom House.

Es gibt viel zu entdecken in der großen weiten undemokratischen Welt! Durchaus auch Hoffnung!

FIN

No Comments

Post A Comment