Wie geht es unserer Psyche bei all der Umweltzerstörung?

Gibt es einen passenden sprachlichen Ausdruck dieser Gefühle irgendwo zwischen Heimweh, Nostalgie und Einsamkeit, der den Schmerz um den Verlust unserer Umwelt beschreibt? Der australische Umweltphilosoph und Nachhaltigkeits-Professor Glenn Albrecht erfand ihn: Er nannte diese „spezifische Form der Melancholie, die mit einem Mangel an Trost und intensiver Einsamkeit zusammenhängt“ Solastalgie.

Vielleicht kennt ihr dieses Gefühl selbst, wenn ja – lasst euch gesagt sein, damit seid ihr nicht allein. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa fürchten allein 42 Prozent der Deutschen, dass der Klimawandel die Stabilität und Sicherheit der Welt gefährden könnte, unter den Jugendlichen sind es sogar 65 Prozent.

Begriffsproblematik von „Klimaangst & Klimadepression“

Die Mitglieder der Psychologists For Futre forschen bereits seit vielen Jahren an diversen internationalen psychologischen und medizinischen Fakultäten an den Zusammenhängen zwischen Klimawandel und Psychologie und Psychotherapie. Zu den relevanten Fragestellungen gehören zum Beispiel der Umgang mit Verdrängung und Verleugnung, die Ermutigung zu Verhaltensänderungen oder die Bewältigung psychischer Belastungen im Angesicht dieser Krise.

In den sozialen Medien posten Betroffene unter den Hashtags #ecoanxiety und #climateanxiety ihre Sorgen. Auch Begriffe wie „Klimaangst“ und „Klimadepression“ sind verbreitet. Dabei sind die Begriffe nicht immer angemessen, findet der Psychologe Felix Peter, der sich bei Psychologists for Future engagiert. Denn Ängste und Depressionen werden oft mit Störungen in Verbindung gebracht. Der Begriff kann also implizieren, dass die Angst vor dem Klimawandel auch eine Krankheit sei. Andere Menschen reagieren vielleicht eher mit Wut, Trauer oder Hoffnungslosigkeit anstelle von Angst. Und dabei handelt es sich in erster Linie um natürliche Reaktionen auf eine wahrgenommene Bedrohung. Weitere Informationen zu dem Begriff der Angst in diesem Kontext findet ihr hier

Der Begriff der Solastalgie

Wir leben in einer Zeit, in der menschengemachte Umweltzerstörungen auf der ganzen Welt tägliche Realität sind. Regenwälder verschwinden, Tagebaue reißen die Erde auf, Öl verschmutzt ganze Küsten. Die Auswirkungen des anthropogenen (= vom Menschen gemachten) Klimawandels sind vielerorts längst zu spüren. Den Begriff Solastalgie führt Albrecht aufgrund dieses Verlusts, der mit der Umweltzerstörung zusammenhängt, zurück auf die lateinischen Begriffe solacium (Trost) sowie solus (Einsamkeit) und den griechischen Begriff algos (Schmerz).

Der Ursprung seiner Begriffsentwicklung liegt darin, dass Anfang der 2000er Jahre Kohleminen tiefe Furchen ins australische Hunter Valley fraßen und Professor Albrecht mehr über die emotionalen Auswirkungen des Tagebaus auf die Anwohner*innen erfahren wollte. Früher war die Region für ihre malerischen Felder, Farmen und Weingüter bekannt. Der Kohlebergbau gehörte zur regionalen Wirtschaft, doch hatte er sich rasant ausgebreitet, seit das Tal aufgrund wachsender weltweiter Nachfrage und neuer Fördermöglichkeiten von einer Welle neuer Bergbaubetriebe überrollt wurde.

Einige Expert*innen – Albrecht eingeschlossen – gehen davon aus, dass Solastalgie indigene Bevölkerungsgruppen in besonderem Maß betrifft, weil diese oft eine besonders enge emotionale, seit vielen Generationen bestehende Verbindung zu „ihrem“ Land haben. Beispielsweise die Inuit in der Arktis, die jede Veränderung in Temperatur, im Boden und im Eis spüren. „Wir sind Menschen des Eismeeres. Wenn es aber kein Eismeer mehr gibt, wie können wir dann noch die Menschen des Eismeeres sein?“, zitiert die kanadische Umweltforscherin Ashlee Cunsolo einen Inuk. Ohne das Eis zu leben, sei für sie wie nicht atmen zu können. Ihr Heimatverlust ist aufs engste mit einem Identitätsverlust verbunden.

Tagebaue, Dämme oder Abholzungen, Kriege, Überflutungen, Erdrutsche, Brände, extreme Hitze oder einfach nur Bauprojekte oder Gentrifizierung verändern permanent die menschlichen Lebensräume. Auch ohne, dass sie das eigene Leben grundlegend beeinträchtigen, ohne dass etwa Eigentum zerstört oder die Gesundheit bedroht wird, können solche Eingriffe in unsere Heimat schmerzliche Verlusterfahrungen sein. Und das wirkt sich auf unsere Psyche aus.

Persönliche Perspektiven

Um dieses Gefühl, dass ihr mit diesem Schmerz nicht allein seid, zu stärken möchte ich euch noch ein paar persönliche Perspektiven zugänglich machen, um entweder nachzulesen oder nachzuhören, welche Menschen dafür vielleicht andere Worte finden und vor allem aber, was ihnen bei dem Umgang mit diesem Gefühl hilft. 

Das ist zum einen die Kolumnisten Elena Balthesen, die als Teil des Online-Magazins klimareporter°, einen Artikel über Klimadepression und ihren Weg in den Aktivismus schreibt.

Zum anderen gibt es den 1,5 Grad – Klima-Podcast mit Luisa Neubauer. In der aktuellen Episode trifft Luisa auf Henning May, den Sänger der Band AnnenMayKantereit. Er nutzt seine Stimme auch, um politisch klare Kante zu zeigen. So haben Henning und seine Bandkollegen bereits mehrmals auf Klimastreiks der FFF-Bewegung gespielt. Luisa und Henning sprechen darüber, was der Schmerz über die Klimakrise mit ihnen macht, und wie wir mit ihm klarkommen können, um ihn uns zu Nutzen zu machen. Außerdem diskutieren sie, wie die Klimakrise mit rechten Strukturen zusammenhängt.

In einer anderen Folge spricht sie unter anderem mit dem Autor, Arzt und Moderator Eckart von Hirschhausen unter anderem auch über das Gefühl der Solastalgie und wie man aus diesem ganzen Wissen konkret etwas machen kann.

Tipps für eine psychologische Fürsorge

Auch wenn die Gefühle ganz natürlich sind: Klimaangst, -wut und -trauer können uns sehr belasten. Aber wie mit diesen Gefühlen umgehen? Der Psychologe Felix Peter hat verschiedene Tipps:

  • Über Sorgen reden. Das geht sowohl im Freundeskreis als auch in der Familie. Alternativ können Betroffene zum Beispiel in Klimagruppen (auch online) mit anderen zu dem Thema diskutieren.
  • Die Balance halten zwischen einer aktiven Auseinandersetzung mit der Klimakrise und Erholungsmöglichkeiten. Für ersteres können folgende Fragen helfen: Wie ist es mir bislang gelungen, mit meinen Sorgen umzugehen? Wer und was gibt mir das Gefühl, etwas bewirken zu können? Wie kann ich konkret einen Beitrag leisten? Aber auch folgende Fragen sind wichtig: Was hilft mir dabei, zu entspannen? Wann ist es an der Zeit für eine Auszeit?
  • Für wirksamen Klimaschutz engagieren. „Am besten in einem sozialen Rahmen“, rät Felix Peter. Man kann zum Beispiel mit Freunden Demos besuchen, einer Ortsgruppe der Klimabewegung beitreten oder sich in einer Partei für Klimaschutz engagieren. Aber auch vermeintlich kleine Beiträge zählen und sollten wertgeschätzt werden. Peter rät, dort anzuknüpfen, wo man selbst seine Stärken sieht. Manche organisieren gerne, andere sind vielleicht besser in der Kommunikation.

 

– Ronja –


Das Beitragsbild ist von Ivan Bandura auf Unsplash.

1 Comment
  • Selma
    Posted at 00:21h, 21 März Antworten

    Sehr interessanter Artikel und spannendes Thema! Viele Gedankenanstöße, danke. 🙂

Post A Comment