27 Okt 2020 Weltbürgertum – zuhause auf der ganzen Welt?
Heutzutage bezeichnen sich viele Menschen als „Weltbürger*innen“. Doch was steckt da eigentlich dahinter? Das Wort hört sich erst einmal wahnsinnig offen und fortschrittlich an. Weltbürger*innen fühlen sich auf der ganzen Welt zuhause, sie kennen keine Ländergrenzen und sehen alle Menschen als gleich an.
Kosmopolitismus: Einheit statt Ausgrenzung
Das Wort beruht auf dem Konzept des „Kosmopolitismus“, eine Weltanschauung, die bis in die Antike zurückreicht. Laut Wikipedia bezeichnete sich erstmals der griechische Philosoph Diogenes von Sinope als Weltbürger, der damit die Abschaffung aller ihm bekannten Staatsformen forderte. Das Prinzip steht im klaren Gegensatz zum Nationalismus: Die Grenzen, die dabei so wichtig sind, sollen beim Kosmopolitismus keine Rolle spielen. Einheit statt Ausgrenzung. Kritik am Weltbürgertum kommt deshalb oft aus politisch rechten Kreisen, wie in einem Artikel der Zeit nachgelesen werden kann.
Globalisierung und Machtverhältnisse
Im Zeitalter der Globalisierung lohnt es sich jedoch, die gegebenen Verhältnisse mitzudenken. Es bestehen ungleiche Machtverhältnisse in der Welt: Die Ausbeutung von Arbeitskräften und die Zerstörung der Umwelt durch den „globalen Norden“. Die Globalisierung hat ihre Schattenseiten, die sich in der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, dem Verkauf öffentlicher Güter und der zunehmenden Macht multinationaler Unternehmen zeigen.
Aus diesem Kontext heraus erscheint die Identifikation als Weltbürger*in von Menschen, meist aus der gehobenen Mittelschicht, als etwas makaber. Wenn man gut verdient, in einem hippen Stadtviertel wohnt und sich um wenig Sorgen machen muss, ist es leicht gesagt, dass man sich überall zuhause fühlt. Jedoch kommt diese Sichtweise aus einer privilegierten Position heraus, denn nicht jeder Mensch kann überall hinreisen und schon gar nicht überall zuhause sein. Bürger*in zu sein, ist ein rechtlicher Status, den nicht jede*r auf der Erde besitzt. Vor allem in Zeiten wie diesen, in denen Menschen der Aufenthalt in Deutschland verwehrt wird, sehe ich die unreflektierte Verwendung des Begriffs etwas kritisch.
Gleichbehandlung ohne Grenzen
Der Grundgedanke des philosophischen Prinzips ist ja eigentlich ein „guter“. Alle Menschen sollen gleich sein und die Herkunft keine Rolle spielen – jedoch werden in der Realität Menschen nicht gleich behandelt. Als Weltbürger*innen können sich in erster Linie privilegierte Menschen bezeichnen.
Dennoch hoffe ich natürlich, dass die Eine Welt zur Wirklichkeit wird und dass Ländergrenzen keine Unterschiede mehr zwischen den Menschen erzeugen. Vielleicht sollte deswegen der Kosmopolitismus auch als das große Ziel angesehen werden, worauf man hinarbeiten muss. Oder wie es der kamerunische Historiker und politische Philosoph Achille Mbembe definiert: „Die Idee einer gemeinsamen Welt, einer gemeinsamen Humanität, einer Geschichte und einer Zukunft, die uns nur offensteht, wenn wir sie teilen.“
-Marlene-
Das Beitragsbild ist von Radek Homola auf Unsplash.
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