MUR.DER

Protest kann viele Formen annehmen. Eine besonders schöne und traurige hat Angelika gewählt, die dem Gefühl der Ungerechtigkeit Ausdruck verleiht und von der (trotz des großen Widerstands) gestarteten Rodung für die Murstaustufe in der Steiermark erzählt. Informiert Euch hier über die Details.

Mein Herz ist schwer.
Es tut so weh, die Bäume zu sehen, wie sie nicht mehr da stehen, sondern entehrt, misshandelt im Dreck liegen.
Große Flächen entlang der Mur sind nun leer.
Was Jahrzehnte dauerte zu wachsen – zerstört in wenigen Minuten.
Die unersättlichen, unnachgiebigen Zähne der Maschinen, die sich in die Körper der Bäume fressen oder diese wie Gras aus der Erde rupfen.
Die Stille, wenn die Kettensägen verstummen, bevor der Baum zu fallen beginnt und mit einem Ächzen die letzte Faser im Stammesinneren nachgibt und der Baum tosend ins Wasser stürzt.
Dieses Ächzen, das durch Mark und Bein geht, als ob die Bäume in einer letzten Anstrengung ihre Seele aushauchen würden.
Viel konnten wir nicht tun, außer zusehen, wie ein Baum nach dem anderen sein Leben lies.
Stumme Zeugen dieses Massakers.
Hunderte Bäume, die fielen.
Wofür? Macht? Geld? Rücksichtslosigkeit?
Weil intakte Ökosysteme nichts wert sind?
Weil nicht-menschliche Lebewesen weniger Anspruch aufs Leben haben?
Ein Fisch, ein Vogel, eine Fledermaus hin oder her – wen kümmert das schon?
Unfähig, in die Sprechchöre miteinzustimmen, mit Knoten im Hals und Tränen in den Augen
Verzweiflung, Wut und Hilflosigkeit im Bauch, während vor mir ein weiterer Baum mit einem lauten Klatscher auf dem Wasser der Mur aufschlägt, als applaudiere er seinem Mörder.
Um uns unzählige Polizisten, die sich manchmal vor uns schieben.
Friedlich, de-eskalierend. Und doch – warum stehen sie nicht vor den Bäumen und schützen diese? Wer agiert hier gewaltsam?
Warum muss man eine Baufirma vor friedlichen Demonstrant*innen schützen?
Wer nicht zu Unrecht handelt, hat doch nichts zu befürchten?
Wärmende Suppe und stärkendes Brot wird geteilt.
Noch immer fällt Regen.
Die Körper und Glieder sind schon ganz klamm von der Kälte.
Die Erde wird zum Sumpf, aufgewühlt von schweren Maschinen und den Schritten vieler Menschen.
Wie viele Lebewesen an diesem Tag wohl bereits ihr Leben und ihr Zuhause verloren haben?
Noch immer wird ausgeharrt. Ein Geduldsspiel, bis der Regen nachlässt und die Dunkelheit hereinbricht.
Ein Tag vorbei.
Gibt es Gewinner, gibt es Verlierer – oder können bei diesem Spiel alle nur verlieren?
Langsam treten wir den Rückzug an.
Können wir hier noch etwas ausrichten oder sollten wir besser Kraft schöpfen für den nächsten Tag?
Aufgeschreckt und aufgebracht fliegt ein Vogel zwischen zwei Bäumen umher, wo noch vor wenigen Stunden viele andere standen.
Ein langer von Tränen vernebelter Blick zurück, von der Mitte der Brücke, auf die kahlgeschlagenen, nackten Flanken des Flusses.
Es tut mir leid, kleiner schwarzer Vogel.
Wir konnten dein Zuhause nicht retten.
Die Lieder, die Sprechchöre, das Stimmengewirr, das ununterbrochene Rattern der Kettensägen, das Splittern des Holzes, das Klatschen der fallenden Bäume, das Prasseln des Regens und Bellen der Hunde – und das Ächzen der Bäume im Moment des Todes schwirren in meinem Kopf, werden mich in den Schlaf verfolgen.
Vor allem das letzte ächzende Nachgeben – das sich ins Schicksal ergeben – dieser stummen, weisen Riesen.
Ob sie uns wohl unsere Torheit verzeihen?

 

 

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