13 Sep 2023 Frauen. Leben. Freiheit: Frauenbewegungen im Iran
Im September 2022 brach im Iran eine Protestwelle aus, die die Menschenrechtslage im Land ins Licht rückte. Sie entstand als Antwort auf den Tod von Mahsa Amini. Die junge Frau wurde bei einer Kontrolle der Sittenpolizei im September 2022 festgenommen, weil ihr Kopftuch angeblich nicht richtig saß. Es ist für Frauen im Iran gesetzlich vorgeschrieben. Sie starb in Polizeigewahrsam. Die Protestwelle, die auf ihren Tod folgte, ließ die Brutalität des iranischen Regimes gegen seine Bevölkerung wieder einmal deutlich werden. Im Zentrum der Proteste stand die Auflehnung iranischer Frauen gegen die politische und gesellschaftliche Diskriminierung im Land.
Dieser Beitrag stellt einen groben Überblick über die jüngere Geschichte iranischer Frauenbewegungen und ihrer politischen Beteiligung dar, sowie über Ereignisse seit den Protesten im letzten Jahr.
Viele Iranerinnen weigern sich, weiter unter den frauenfeindlichen Gesetzen des islamistischen Regimes zu leben. Dieses reagierte auf die Proteste abrupt und mit unverhohlener Gewalt. Es ist für seinen unverhältnismäßig harten Umgang mit Journalist:innen, Kritiker:innen und Aktivist:innen bekannt. Demonstrationen gegen die Regierung finden im Iran trotzdem immer wieder statt. Die extremen Unterdrückungsmaßnahmen im letzten Jahr ließen vor allem eine Interpretation laut werden: Die politische Elite des Landes hat Angst vor dem Zorn der Bevölkerung, ganz besonders dem der Frauen. Sie begegnen der Unterdrückung mit Ungehorsam: Sie verhüllen ihre Körper nicht mit loser Kleidung wie vorgeschrieben, stellen ihre unbedeckten Haare zur Schau oder rasieren sie demonstrativ ab.
Frauenrechtsbewegungen in der Vergangenheit – ein Überblick
Weiblicher Aktivismus wie dieser blickt im Iran auf eine lange Geschichte zurück. Frauenrechtliche Bewegungen sind ein fester Bestandteil der politischen Entwicklungen des 20. und 21. Jahrhunderts, und deren Ergebnisse nicht ohne das Engagement aktivistischer Frauen zu denken. Frauen waren zum Beispiel an der Konstitutionellen Revolution zu Beginn des 20. Jahrhunderts maßgeblich beteiligt, welche das erste iranische Parlament zustande brachte und die absolute Monarchie ablöste. Trotzdem war das Parlament rein männlich besetzt und Frauen wurden per Gesetz von politischer Beteiligung ausgeschlossen.
Der Ruf nach Gleichberechtigung der Iranerinnen hielt dieser Ausgrenzung allerdings stand und wurde lauter. Frauen fanden Wege, sich zum Beispiel durch Bildungsförderung und Frauenorganisationen gesellschaftlich zu beteiligen. Ihre Anstrengung für Geschlechtergleichheit fand ab 1925 auch in der politischen Elite Anklang. Der damalige Monarch Reza Schah Pahlavi, das Staatsoberhaupt von Iran, begann im Interesse seines Machterhalts „westliche“ Standards im Land durchzusetzen. Dies beinhaltete auch die formale Gleichstellung der Frauen. Entsprechend begrüßten und unterstützen viele iranische Frauenorganisationen die Neuerungen. Mit ihnen gingen die Zulassung von Frauen an Universitäten (ab 1936) und verpflichtende Bildung für Mädchen wie Jungen (ab 1944) einher.
Im Zuge der Veränderungen verbot der Schah 1936 den muslimischen Hidschab, die Bedeckung des Kopfes von Frauen zu religiösen Zwecken, in der Öffentlichkeit. Für viele religiöse Frauen bedeutete dies, dass sie ihr Zuhause nicht mehr verlassen wollten oder andernfalls eine Strafe riskierten. Was den Schah als progressiven Herrscher wirken lassen sollte, wurde zu einem Instrument der Unterdrückung. Der Hidschab wurde instrumentalisiert, um die neue politische Richtung des Landes nach außen und innen zu demonstrieren. Das Kleidungsstück wurde zu einem Sinnbild dafür, wie weibliche Körper benutzt werden, um politische Machtansprüche zu verdeutlichen und Macht auszuüben.
Die soziale Isolation der Frauen, die zuhause blieben, war auch Protest gegen die neue Regel, welche ihrer Lebensrealität schlicht nicht gerecht wurde. Das Gesetz brachte aber auch teils blutige Proteste mit sich. Der Hidschab als religiöses Symbol zeigte damals die Kluft zwischen der politischen Elite und der iranischen Bevölkerung auf. Die umstrittene Regel förderte aber auch die teils enormen Spannungen innerhalb der iranischen Gesellschaft zutage.
Trotz des Kurses der Regierung war es immer auch das politische Engagement iranischer Frauen, welches zur Veränderung ihrer Lebensumstände führte. So erkämpften sie sich beispielsweise 1963 schließlich das Wahlrecht. Einige Jahre später wurde auch das Familienschutzgesetz verändert, welches Frauen zum Beispiel im Scheidungsfall, in Sorgerechtsfragen oder in Bezug auf Abtreibung mehr Rechte gab und sie besser schützte.
Doch dann kam es zur Islamischen Revolution, die auch eine Protestbewegung gegen die zunehmend repressive Herrschaft des Schahs Mohammad Reza Pahlavi war. In ihr vereinten sich einige völlig unterschiedliche politische Bewegungen mit dem gemeinsamen Ziel, die Monarchie abzuschaffen.
Progressive Frauenorganisationen sahen für ihre Gleichberechtigung in einer Monarchie keine Zukunft und verbündeten sich unter anderem mit konservativen muslimischen Organisationen, um die Monarchie abzuschaffen. Als Revolutionsführer rief schlussendlich der konservative Kleriker Ruhollah Khomeini die Islamische Republik Iran aus. Im Anschluss gingen er und seine Anhänger brutal gegen politische Gegner:innen, auch ehemals Verbündete, vor, um sich die alleinige Herrschaft zu sichern. An die Stelle der Monarchie trat ein brutales System, das Frauen mit einem Schlag fast all ihre Rechte aberkannte.
Frauenrechte nach der Islamischen Revolution
Für Reisen oder berufliche Tätigkeiten zum Beispiel war unter den islamistischen Herrschern fortan die Erlaubnis eines Mannes nötig. Abtreibungen wurden ganz verboten. Mädchen konnten zunächst ab dem Alter von 13 Jahren, später ab 9 Jahren verheiratet werden. Frauen wurden in Politik und Justiz aus hohen Ämtern entfernt. Bis heute sind politische Kandidaturen für Frauen fast unmöglich: der klerikale Wächterrat des Iran, eine wichtige politische Instanz, lässt sie oft gar nicht erst zur Wahl zu. Politiker:innen machen deshalb einen sehr kleinen Teil des Parlaments aus. Entsprechend sind Aktivismus und Proteste wirkungsvollere Formen politischer Beteiligung für Frauen.
Die Bedeckung des Kopfes und das Tragen weiter Kleidung wurden damals gesetzlich vorgeschrieben. Kleidung wurde damit wieder zu einem Machtinstrument, das auf die Kontrolle des weiblichen Körpers abzielte. Frauenproteste und ziviler Ungehorsam waren jedoch so mächtig, dass die Bekleidungsregeln zunächst nicht durchgesetzt werden konnten. Nach Abebben der Proteste und dem vielfältigen Widerstand der Frauen wurden sie trotzdem gesetzlich verankert.
Allgemein wurden die Gesetze so gemacht, dass Frauen kaum rechtlich geschützt werden, kaum Chancen auf faire Prozesse vor Gericht haben oder zum Beispiel Gewalt gegen sie effektiv bekämpfen können. Damals wie heute wehr(t)en Frauen sich vehement gegen die Unterdrückung. Im Zentrum der Proteste steht für sie das Verlangen nach Selbstbestimmung, über ihre eigene Kleidung, ihre eigenen Körper, ihre eigenen Leben.
Und heute?
Je nach Ort und Zeit wurden die Bekleidungsregeln unterschiedlich ausgelegt. In größeren Städten wurden die Vorschriften über die Jahre stellenweise gelockert. Kleidung diente häufig als eine Form von Protest, indem zum Beispiel die Vorgabe der lockeren Kleidung, die die Figur verschleiert, von Iranerinnen bewusst ignoriert wird. Seit den Protesten im letzten Jahr wird die Kontrolle, die das Regime mit den Bekleidungsvorschriften auszuüben versucht, mehr und mehr von Iranerinnen angefochten und neu verhandelt.
Das iranische Parlament berät derzeit über Veränderungen der Gesetzeslage, die für Frauen ohne Hidschab zum Beispiel deutlich erhöhte Geldstrafen bedeuten können. Im Juli ist auch die Sittenpolizei wieder eingesetzt worden, die im Verlauf der Proteste zunächst von der Straße entfernt worden war. Die Regierung versucht eindeutig, die Bevölkerung durch noch härtere Unterdrückungsmaßnahmen einzuschüchtern.
Für mehr Informationen über die aktuelle Situation im Iran gibt es den Podcast „Das Iran Update“ von Gilda Sahebi und Sahar Eslah. Sie befassen sich alle zwei Wochen mit aktuellen Geschehnissen und persönlichen Geschichten von Aktivist:innen im Iran. Er ist online unter dasiranupdate.podigee.io zugänglich.
In aktivistischen Kanälen in Sozialen Medien zeigen sich trotz allem immer wieder Frauen ohne Hidschab auf der Straße. So protestieren sie auch durch ihre Kleiderwahl im alltäglichen Leben weiter. Der Mut der Frauen verändert das Straßenbild: Es gehört mittlerweile oft dazu, dass sie sich mit und ohne Hidschab draußen bewegen.
-Pauline-
Quellen
Beitrag auf der Website der Rosa-Luxemburg-Stiftung: „Die Freiheit der Frau ist die Freiheit der Gesellschaft. Die moderne Frauenbewegung im Iran“ von Hamid Mohseni vom 18.08.2022
Beitrag: „Mehr als Dekoration? Iranische Frauen in der Politik“ im Magazin „Deine Korrespondentin“ von Lisa Neal vom 12. März 2020
Beitrag bei ZDF heute: „Regierung droht Bürgerinnen: Iran: Keine Gnade bei Kopftuch-Verweigerung“ vom 01.04.2023
Und das Video unter dem Beitrag: „Was wird aus der Revolte im Iran? Und woraus schöpfen vor allem die iranischen Frauen weiter ihre Kraft?“
Bericht der Neuen Zürcher Zeitung: „Die Haare der Iranerinnen – ein langer Kampf für Selbstbestimmung“ von Karin A. Wenger (Text) und Martin Berz (Bilder) vom 27.09.2022
Bericht in BBC News Persian: „Narratives from Iran, women’s daily struggle with the government’s markings“ von Amir Abbas Kalhor vom 04.08.2023
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