05 Aug 2020 Fakten statt Vorurteile: Afrika hat mehr zu bieten als Armut
Es ist mal wieder Zeit für einen Gastbeitrag! Heute berichtet Katja Scherer, wie Reisen und Recherchen ihr Bild von Afrika als Kontinent verändert und vielfältiger gemacht haben. Außerdem bekam sie dadurch Inspirationen für einen spannenden Blog über wirtschaftliche Entwicklungen in Afrika. Vielen Dank für den Beitrag und auch für die tolle informative Seite!
Unvergesslich, aber wenig komfortabel: So würde ich meine letzte Reise vor der Corona-Pandemie zusammenfassen. Drei Wochen lang bin ich im Januar mit meinem Mann selbstorganisiert durch Äthiopien gereist. Wir sind also mit überfüllten Bussen von Stadt zu Stadt gesaust, haben Krokodile am Chamo-See beobachtet und abgelegene Dörfer im Simien-Gebirge besucht. Wir haben selbstgebrautes Bier mit Mönchen getrunken und mit den Menschen vor Ort den traditionellen Schultertanz geübt. Das alles war ziemlich schön und aufregend. Vor allem aber eine Sache hat mich besonders beeindruckt. Dass ich zurückkam und dachte: Mensch, im Prinzip ist das ja ein ganz normales Land. Mit normalen Regeln. Und einem normalen Alltag.
Das mag jetzt banal klingen, aber für mich war das wirklich eine tiefgreifende Erfahrung. Immer wenn wir nämlich vorher jemandem erzählt haben, dass wir ohne Guide oder geführte Tour durch Äthiopien reisen, wurden wir angeschaut wie Verrückte. ‚Kann man sich da denn frei bewegen?‘, lautete meist eine der ersten Fragen. Gleich nach: ‚Ist das sicher?‘ und ‚Wird man da nicht ziemlich schnell ausgeraubt?‘ Ich selbst hatte zwar vor der Reise keine Angst. Aber so richtig, was ich zu erwarten hatte, wusste ich auch nicht. Die Erkenntnis, dass Äthiopien eben ein normales Land ist, mit Stärken und Problemen, war für mich daher echt fundamental.
Diese Erfahrung hat mich dazu motiviert, ein eigenes Projekt zu starten. Ich bin Wirtschaftsjournalistin, heiße Katja und bin 30 Jahre alt. Seit Kurzem betreibe ich neben meiner Arbeit den Blog WirtschaftinAfrika.de, auf dem ich über wirtschaftliche Trends und spannende Unternehmen auf dem Kontinent berichte. Damit will ich dazu beitragen, dass afrikanische Länder differenzierter wahrgenommen werden. Schließlich gibt es zwischen Ländern wie Kenia, Ägypten, Südafrika oder Malawi enorme Unterschiede – nicht nur was die Kultur, sondern auch was die wirtschaftliche Entwicklung angeht. Afrika hat über 50 Länder und mehr als 1,3 Milliarden Einwohner. Und ich habe mir für mich selbst vorgenommen, das künftig mehr wertzuschätzen.
Geweckt wurde mein Interesse an Afrika dabei eigentlich durch einen Zufall. Im Jahr 2014 – ich hatte gerade meinen Master abgeschlossen – stieß ich im Internet auf eine Journalistenreise nach Kenia. Ich hatte gerade Zeit und dachte mir: „Warum nicht? Ist auf jeden Fall mal was anderes.“ Ein paar Wochen später saß ich tatsächlich gemeinsam mit rund zehn anderen jungen Journalisten im Flieger. Vor Ort angekommen, gingen wir arme Kaffeebauern besuchen. Wir sprachen mit armen Kindern in einem Waisenheim und besuchten arme Familien im Slum von Nairobi. Was ich damit sagen will: Das Thema der Reise waren die UN-Entwicklungsziele und ich habe viele Probleme auf dem Kontinent in kurzer Zeit intensiv kennengelernt.
Dennoch hat die Reise bewirkt, dass ich danach immer schnell hellhörig geworden bin, wenn es um afrikanische Länder ging. Ich berichte bei meiner journalistischen Arbeit zum Beispiel häufig über Start-ups und habe dadurch mitbekommen, dass in den vergangenen Jahren in vielen afrikanischen Ländern eine rege Gründerszene entstanden ist. Als ich 2018 die Möglichkeit hatte, eine Recherchereise nach Nigeria anzutreten, habe ich daher nicht lange gezögert und mich wieder beworben. Und anders als bei meiner Reise nach Kenia hatte ich nun für mich eine klare Agenda: nämlich spannende Wirtschaftsgeschichten aus Afrika zu erzählen.
Ich berichtete über Start-ups und die nigerianische Filmindustrie, über den Onlinehändler Jumia (siehe Bild) und die Textilindustrie vor Ort. Für mich persönlich war das eine total coole Erfahrung. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich in Lagos zum Beispiel einen jungen Gründer traf. Er hatte im Ausland studiert, war dann aber zurückgekommen, um mit einem Medizin-Start-up sein Land voranzubringen.
Plötzlich waren meine Interviewpartner also keine armen Kinder mehr, sondern gut ausgebildete, smarte Menschen, die vor Tatendrang nur so strotzten. Mit einem Schlag hat sich damals mein Blick auf unseren Nachbarkontinent geändert.
Die Idee zu WirtschaftinAfrika.de kam mir dann nach unserer Äthiopien-Reise im Januar. Die Backpacking-Erfahrung vor Ort war so beeindruckend, dass ich dachte: Dieses einseitige Bild, das wir von Afrika haben, ist einfach Verschwendung. Dort gibt es so viel Spannendes zu entdecken, so viele interessante Menschen – und wir wissen nichts davon. Deswegen habe ich mir vorgenommen, mit meinem Blog auch mal diese Seite des Kontinents aufzuzeigen. Ich merke zum Beispiel, dass Wirtschaftsthemen aus Afrika oft die ersten sind, die im normalen journalistischen Alltag in Redaktionen untergehen. China gilt inzwischen als wichtige Region, die man im Blick behalten muss. Afrika nicht. Dabei ist der Kontinent für uns durchaus von strategischer Bedeutung, wie ich vor Kurzem auf meinem Blog aufgeschrieben habe.
Überhaupt lerne ich bei vielen Recherchen für den Blog total viel Neues. Sehr spannend fand ich zum Beispiel die Geschichte der Unternehmerin Bethlehem Alemu, die in Äthiopien aus dem Nichts heraus eine Schuhfabrik aufgebaut hat. Inzwischen verkauft sie ihre nachhaltig gefertigten Schuhe unter der Marke Solerebels sogar in Hamburg. Oder besonders interessant fand ich auch eine Recherche über die Kakaoindustrie in Ghana. Das Land hat sich nämlich vorgenommen vom reinen Kakao-Lieferanten zum Schokoladen-Hersteller zu werden. Ich wusste aus früheren Recherchen, dass Kakaobauern vor Ort oft sehr wenig verdienen. Aber dass Ghana selbst viel dafür tut, um das zu ändern, war mir nicht bewusst.
Noch ist mein Projekt ganz jung. Den ersten Artikel habe ich im März veröffentlicht. Ich hoffe sehr, dass es im Laufe der Zeit gelingt, viele Menschen für die Themen auf meinem Blog zu begeistern. Wir diskutieren derzeit so oft über Rassismus und #BlackLivesMatter. Ich persönlich glaube, dass ein Schlüssel im Kampf gegen Rassismus und Vorurteile vor allem Wissen ist. Denn wenn ich eines bei meiner Arbeit als Journalistin gelernt habe, dann das: Bei genauerem Hinsehen ist die Welt meist komplexer als man denkt. Das Beste, was man machen kann, ist also zuhören, nachlesen, Fragen stellen – und versuchen, das ganze Bild zu sehen.
Das Titelbild zeigt den zentralen Platz von Addis Abeba, Äthiopien (von Katja Scherer).
No Comments