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Das Dritte Kino – Als Filme die Welt verändern sollten. Teil 2

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Merkmale des Dritten Kinos

Was sind nun aber die Merkmale dieser Filme, die so sehr dem widersprechen sollen, was wir in den Kinos und auf den Streamingplattformen zu sehen bekommen? Schon in der Produktion unterscheidet sich das Dritte Kino stark vom herkömmlichen. So setzt nicht mehr das hochindividuelle Filmemacher-Genie seine Vision um, sondern der Film entsteht in einem kollektiven Prozess. Es bietet sich an, die Filmherstellung innerhalb einer revolutionären politischen Organisation zu gestalten.

Ästhetische Normen gibt es keine. In der Regel aber verfolgen die Produktionen einen filmischen Realismus. Häufig sind es Mischformen aus Spiel- und Dokumentarfilm. In Haupt- oder Nebenrollen werden häufig Laiendarsteller*innen eingesetzt, die kooperativ mit dem Filmkollektiv zusammenarbeiten. Was fast alle Filme eint, ist die mangelhafte technische Ausgangssituation. Kameras, Filmstreifen, Mikrofone und andere technische Ausrüstung waren sehr teuer und daher ist die Ästhetik der Filme meist von Imperfektion geprägt. Das machen sich die Filmemacher*innen zur Stärke, indem sie sie offen ausstellen.

Die Verbreitung und Vorführung der (häufig verbotenen) Filme müssen auf anderen Wegen geschehen als den üblichen. Bei der Suche alternativer Möglichkeiten sind dem Einfallsreichtum der Filmemacher*innen keine Grenzen gesetzt. In jedem Land sind andere Methoden, die sich an die jeweiligen Gegebenheiten anpassen, vonnöten. Zudem sind Verbreitungsmechanismen, die von revolutionären Organisationen bereitgestellt werden, von großer Bedeutung. 

Solanas und Getino entwickelten mit der Erfahrung der Aufführungen ihres Filmes La hora de los hornos (Die Stunde der Hochöfen, 1968) das Konzept des sogenannten Film-Akts. Grundlage dieses Film-Akts ist die Schaffung eines geschützten Raums für Menschen, die sich mit dem Kampf der Filmemacher*innen identifizieren. In der Praxis des Film-Akts ist der Film nur Auslöser und Ausgangspunkt von Dialog und Debatte. Dazu schreiben sie: „The film act means an open-ended film; it is essentially a way of learning.” Um den Film sind im Film-Akt zusätzliche Elemente organisiert, die das Publikum zum Partizipieren anregen. Das können beispielsweise aufgenommene Musik oder Gedichte, Skulpturen und Bilder oder Plakate sein. Insgesamt soll der Film-Akt die Zuschauer*innen aus ihrer passiven Rolle drängen und zu partizipierenden Subjekten anleiten. Dazu können auch im Film direkte Forderungen an das Publikum oder bewusste Diskussionspausen eingesetzt werden.

Die Filme des Dritten Kinos

Nicht jeder Film des Dritten Kinos entspricht natürlich den Ansprüchen, die Getino und Solanas aufstellen. Schließlich ist das Konzept des Dritten Kinos keineswegs nur deren eigenes. Die Auswahl der Filme, die ich getroffen habe, soll deren Vielfältigkeit widerspiegeln.

Der Film, der wohl am klarsten dem Manifest Genüge tut, ist La hora de los hornos. Immerhin haben Solanas und Getino in Zusammenarbeit mit der Grupo Cine Liberacion den Film gemacht und auf Grundlage dieser Erfahrung jenes Manifest verfasst. Der viereinhalbstündige Film beschäftigt sich mit der politischen Geschichte Argentiniens. Sowohl die koloniale Vergangenheit als auch die neokoloniale Gegenwart werden analysiert. Der agitatorische Film adressiert sein Publikum direkt und fordert es zum Handeln und zum Widerstand auf. Das letzte Bild des Werke ist programmatisch für den ganzen Film, auf einer Textafel steht: “Now it is up to you to draw conclusions to continue the film. You have the floor.“

Einen eigenwilligeren Stil verfolgte der Brasilianer Glauber Rocha in seinem Werk Terra em Transe (Land in Trance, 1967). Es ist ein äußerst lauter Film, in dem die Kamera immer in Bewegung ist. Die fiebrigen und verworren aneinander gereihten Bilder erzählen von der fiktiven Republik Eldorado, in der ein opportunistischer Schriftsteller zwischen der Unterstützung eines konservativen und eines liberalen Politikers hin und her pendelt.

Weder ist das Dritte Kino auf Lateinamerika noch auf Dramen bzw. dokumentarische Stoffe begrenzt. Der wohl bekannteste Vertreter des afrikanischen Kinos ist Ousmane Sembène. Der Senegalese wird häufig als der Vater des afrikanischen Films bezeichnet. In seinem Werk Xala (1975) wird ein polygamer Geschäftsmann und Minister nach der Heirat seiner dritten Ehefrau mit einem alten Fluch belegt, der Impotenz bewirkt. Der Film ist eine Satire auf die afrikanische herrschende Klasse, die den Platz der französischen Kolonialisten eingenommen hat und kaum eine Verbesserung der Lebensumstände bewirkt. Einen noch komödiantischeren Ton schlägt der philippinische Film Mababangong Bangungot (Der parfümierte Alptraum, 1977) an, den Kidlat Tahimik quasi alleine geschaffen hat. In dem Film treffen die hohen Erwartungen von Kidlat, der Astronaut werden möchte und äußerst begeistert von den USA ist, auf die ernüchternde, westliche Realität, als er es nach Europa zu reisen schafft.

Auch wenn das Dritte Kino als besonders radikal und progressiv auftrat, gab es deutlich weniger Filmemacherinnen. Eine davon ist die Afrokubanerin Sara Gómez, die leider schon mit 31 Jahren verstarb. Ihr einziger Langfilm wurde erst nach ihrem Tod fertiggestellt und 1977 veröffentlicht. De cierta manera (In gewisser Hinsicht, 1977) ist ein halbdokumentarischer Spielfilm, der sich mit der gesellschaftlichen Entwicklung Kubas nach der Revolution beschäftigt. Insbesondere verbreitete machistische Männerrollen werden hinterfragt.

Was vom Dritten Kino bleibt

Abschließend kann festgestellt werden, dass das Dritte Kino eine vergangene Phase der Filmgeschichte ist. Einige Autoren sind zwar der Ansicht, dass das Dritte Kino auch weiterhin existiere. Häufig werden aber damit einfach nur unabhängig produzierte Filme des Globalen Südens verbunden. Das zentrale Element des Filmkonzeptes ist aber der Kampf um die Dekolonisierung, der zu sehr an die spezifische historische Situation der 1960er und 1970er Jahre geknüpft ist, als dass es sinnvoll ist den Begriff des Dritten Kinos auch für heutige Produktionen zu nutzen.

Heute sind die Filme nicht nur als historische Dokumente aufschlussreich. Viele Diskurse, die aktuell noch geführt werden, sind dort schon abgebildet. Jenes Kino ist vor allem auch durch seine formale Gestaltung immer noch erfrischend und faszinierend. Ein Blick in diese Kinogeschichte zeigt, wie ein alternatives, politisches Kino aussehen kann und fasziniert mit der absoluten Dringlichkeit, endlich selbst die filmischen Produktionsmittel in die Hand zu nehmen, um ein eigenes, dem kolonialen Blick antagonistisches Bild zu entwerfen.

-Alec-


Weiterführende Literatur:

Foerster, Lukas / Perneczky, Nikolaus / Tietke, Fabian / Valenti, Cecilia (Hrsg.) (2013): Spuren eines Dritten Kinos. Zu Ästhetik, Politik und Ökonomie des World Cinema. Bielefeld: Transcript.

Galant, Michael (2023): For Truly Radical Filmmaking, Look to Third Cinema. Online: https://jacobin.com/2023/08/third-cinema-global-south-film-anti-imperialism-decolonization

Mazierska, Ewa / Lars, Kristensen (Hrsg.) (2020): Third Cinema, World Cinema and Marxism. New York: Bloomsbury Academic.

Solanas, Fernando / Getino, Octavio (2014): Towards a Third Cinema: Notes and Experiences for the Development of a Cinema of Liberation in the Third World. In: MacKenzie, Scott (Hrsg.): Film Manifestos and Global Cinema Cultures. A Critical Anthology. Berkeley: University of California Press, S. 230–250.

Tietke, Fabian (2016): You cannot build rocket ships from bamboo ‒Kidlat Tahimik and Third Cinema. Online: http://kidlattahimik.de/texte/fabian-tietke-kidlat-tahimik-and-third-cinema/

Foto von Richard Heinen auf Unsplash

 

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