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Das Dritte Kino – Als Filme die Welt verändern sollten. Teil 1

Die Filmindustrie ist ein milliardenschweres Business, fest in der Hand bestehender Institutionen und Unternehmen. Politische, radikale Filme sind innerhalb dessen schwer realisierbar. Bereits in den 1960er und 70er Jahren gab es einen heute fast vergessenen Versuch ein anderes, ein antisystemisches Kino zu schaffen. Filmemacher*innen des Globalen Südens arbeiteten an einem sogenannten Dritten Kino. Es sollte revolutionär, militant und antikolonial sein. Günstig produzierte, energiegeladene und ästhetisch radikale Filme entstanden, die für die unterdrückte Bevölkerung und eine Befreiung vom US-Imperialismus und den alten Kolonialmächten einstanden.

Mangel an politischen Filmen

Betritt man, wie es für die deutschen Durchschnittszuschauer*innen üblich ist, eines der großen Multiplexkinos, wird man große Plakate der neusten Superheldenfilme sehen oder Poster mit gruseligen Fratzen von Horrorfilmen für Teenies. Noch schauriger können da nur die Gesichter von Til Schweiger, Matthias Schweighöfer, Elyas M’Barek für die nächste seichte deutsche Komödie mit gesellschaftskritischem Touch sein. Filme mit politischer Sprengkraft sucht man hier vergebens, ebenso in den meisten Produktionen des Arthouse-Bereichs.

Vor einer Ausgangslage, die deutlich prekärer war, standen in den 1960er Jahren Filmemacher*innen im Globalen Süden. Zum Großteil hatten die einzelnen Nationen keine Möglichkeit eine eigene Filmkultur zu entwickeln. Wenn überhaupt heimische Filme produziert wurden, waren es welche, die westlichen Maßstäben, Kriterien und Ideologien folgten. In den Kinos liefen fast ausschließlich Filme der (früheren) Kolonialmächte und natürlich Hollywoodproduktionen.

Vor diesem Hintergrund bemühten sich zahlreiche Filmschaffende um ein völlig neues Kino, das den Filmen des Globalen Nordens kritisch gegenüberstand. Zeitgleich sorgte der technische Fortschritt im Filmbereich dafür, dass Filmausrüstung und -material günstiger und mobiler wurden, wodurch eine unabhängige Produktion erst möglich wurde. In diesem Zuge wurden zahlreiche Manifeste veröffentlicht, die eine neue Art des Filmschaffens proklamierten, darunter auch das Manifest “Towards a Third Cinema: Notes and Experiences for the Development of a Cinema of Liberation in the Third World” der zwei argentinischen Filmemacher Fernando Solanas und Octavio Getino. Es erschien 1969 auf Spanisch. Was man heute als Drittes Kino versteht, gründet sich maßgeblich auf dieses Manifest.

Ein Drittes Kino für die „Dritte Welt

Als erstes sei gesagt, dass dem Dritten Kino keine einheitliche theoretische Grundlage unterliegt. Das Manifest von Solanas und Getino bleibt aber trotzdem die zentrale Schrift, um die Ursprünge und den Ansatz des Dritten Kinos zu verstehen. Es ist vom Marxismus und Maoismus beeinflusst und zeigt auf, wie ein revolutionäres Filmemachen schon vor der sozialistischen Revolution möglich ist.

Für ein besseres Verständnis für das Dritte Kino sollte zuerst der Name geklärt werden – Warum „Drittes Kino“? Zum einen steht der Name natürlich in Anlehnung zum veralteten Begriff der „Dritten Welt“, welcher die Staaten meinte, die während des Kalten Krieges keinem der zwei Machtblöcke zugehörig waren. Zum anderen steht der Begriff in Abgrenzung zu den ersten beiden Kinos. Das Erste Kino ist das Kino Hollywoods. Es sei, laut den Autoren, durch das imperialistische Kalkül der USA in die gesamte Welt importiert worden. Es wurde zum Maßstab eines jeden Unterhaltungskinos. Hollywoodfilme sollen den Zweck haben, die verinnerlichte kapitalistische Ideologie kulturell zu befriedigen. Die Zuschauer*innen konsumieren in passiver Haltung das Spektakel, was sich auf der Leinwand abspielt. Dem Publikum wird nicht die Fähigkeit zugesprochen, Geschichte verändern zu können. Stattdessen erschöpfen sich die Filme in der fiktiven Heroik einzelner Hauptfiguren, was zum höchsten Ziel hat, Geschichte lediglich zum Betrachten und Nacherleben aufzubereiten. Das zweite Kino, was gewöhnlich als Autoren- oder Kunstkino bezeichnet wird, genügt ebenfalls nicht den revolutionären Ansprüchen Getinos und Solanas. Denn es gewährt den Filmemacher*innen zwar kreative Freiheit in ihrem filmischen Ausdruck, ist aber ähnlichen systemischen Zwängen ausgesetzt. Damit es bestehen kann, muss eine parallele Industrie aufgebaut werden, die nur eine kleinere, ethischere Version der bereits etablierten Filmindustrie ist. Die Aussicht für Filmschaffende ist, sich als jugendlicher, wütender Flügel der (neokolonialen und kapitalistischen) Gesellschaft zu institutionalisieren. Das dritte Kino stelle folgerichtig die tatsächliche Alternative dar: entweder Filme, die das System nicht in sich aufnehmen kann, oder welche, die sich kämpferisch gegen das System richten.

Politische Programmatik

Die Entstehung des Dritten Kinos ist im Kontext der kubanischen Revolution und der antikolonialistischen Freiheitsbewegungen zu verstehen. In seinem politischen Programm richtet sich Getinos und Solanas Schrift gegen (Neo-)Kolonialismus, (US-)Imperialismus und Kapitalismus, wobei Filme die wichtigste kulturelle Praxis im revolutionären Kampf einnehmen sollen. Entspechend ambitioniert ist das Manifest auch verfasst: „Third cinema is, in our opinion, the cinema that recognises in that struggle the most gigantic cultural, scientific, and artistic manifestation of our time, the great possibility of constructing a liberated personality with each people as the starting point—in a word, the decolonisation of culture.” Die Niedrigschwelligkeit, Anziehungskraft und Beliebtheit des Kinos scheinen wie dafür geschaffen zu sein, die unterdrückte Bevölkerung zu erreichen.  Diese soll durch die Filme informiert, aufgeklärt und mobilisiert werden. Die in die nationalen Befreiungskämpfe eingebettete Filme sollen immer ebenso eine internationalistische Ebene aufweisen. Zudem soll das Dritte Kino eine eigene (Film-)Kultur und ein eigenes Selbstbild erschaffen. Denn Filme waren lange Zeit ein Werkzeug der Kolonialisten, um die Identität der kolonisierten Bevölkerung zu negieren.

-Alec-

Teil 2 folgt nächste Woche!


Weiterführende Literatur:

Foerster, Lukas / Perneczky, Nikolaus / Tietke, Fabian / Valenti, Cecilia (Hrsg.) (2013): Spuren eines Dritten Kinos. Zu Ästhetik, Politik und Ökonomie des World Cinema. Bielefeld: Transcript.

Galant, Michael (2023): For Truly Radical Filmmaking, Look to Third Cinema. Online: https://jacobin.com/2023/08/third-cinema-global-south-film-anti-imperialism-decolonization

Mazierska, Ewa / Lars, Kristensen (Hrsg.) (2020): Third Cinema, World Cinema and Marxism. New York: Bloomsbury Academic.

Solanas, Fernando / Getino, Octavio (2014): Towards a Third Cinema: Notes and Experiences for the Development of a Cinema of Liberation in the Third World. In: MacKenzie, Scott (Hrsg.): Film Manifestos and Global Cinema Cultures. A Critical Anthology. Berkeley: University of California Press, S. 230–250.

Tietke, Fabian (2016): You cannot build rocket ships from bamboo ‒Kidlat Tahimik and Third Cinema. Online: http://kidlattahimik.de/texte/fabian-tietke-kidlat-tahimik-and-third-cinema/

Foto von Richard Heinen auf Unsplash

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