20 Nov. 2025 50 Jahre nach dem isländischen Frauenstreik: Wie weit sind wir wirklich mit der Gleichberechtigung?
Was wäre ein Tag ohne Frauen? Wie würde dann der Alltag aussehen?
Wie das alltägliche Leben ohne Frauen und vor allem ohne die Arbeit von Frauen aussieht, erlebte die Bevölkerung von Island vor 50 Jahren am 24. Oktober 1975. Ausgerufen von fünf Frauenorganisationen schlossen sich etwa 90 % der isländischen Frauen zu einer Demonstration für Gleichberechtigung, faire Bezahlung und bessere Kinderbetreuung in Reykjavík, der Hauptstadt von Island, zusammen. Das Jahr 1975 war zuvor als internationales Jahr der Frau ausgerufen worden und zu diesem Zeitpunkt war Island noch weit entfernt davon ein gleichberechtigter Staat zu sein. Der Frauenanteil im Parlament betrug gerade mal 5 % und das Einkommen von Frauen war 40 % niedriger als das von Männern. Zudem haben Frauen — und tun es heute immer noch, nicht nur auf Island — den Großteil der Arbeiten im Haushalt sowie der Kindererziehung und -betreuung übernommen. Kurz gesagt: mehr Arbeit und gleichzeitig weniger Einkommen, so sah bzw. sieht der Alltag vieler Frauen aus.
Gender Care Gap ist der Begriff für die unbezahlte Arbeit, die Frauen tagtäglich mehr verrichten als Männer. Ein kurzer Blick nach Deutschland verrät: Im Jahr 2024 betrug der Gender Care Gap laut Statistischem Bundesamt 44,3 %, das bedeutet Frauen leisten 44,3 % mehr unbezahlte Care-Arbeit. Dazu zählen Hausarbeiten, Einkaufen, Betreuung und Pflege von Angehörigen, Kindererziehung usw. Arbeiten, die oftmals wenig Anerkennung bekommen. Im Gegensatz dazu verbringen Männer pro Woche nur etwa halb so viel Zeit mit Care-Arbeit.
Aber zurück zum Frauenstreik auf Island. Das, was die isländischen Frauen am 24. Oktober 1975 mit der Unterstützung sozialer Organisationen und Gewerkschaften in Gang setzten, wurde anfangs von Isländer*innen nicht als „Streik“ betitelt, sondern als „Freier Tag für Frauen“ oder „Frauenruhetag“, damit sich möglichst viele der Demonstration anschlossen. Der Großteil der Frauen legte die Arbeit nieder und das hatte zur Folge, dass ganz Island für einen Tag still stand. Die Männer sahen sich der Aufgabe gegenüber sich um ihre Kinder und Familienangehörige zu kümmern, Geschäfte und Schulen blieben geschlossen, die Produktion in Fabriken wurde eingestellt, nichts funktionierte mehr wie üblich. Das zeigt, welche Bedeutung die Arbeit von Frauen nicht nur im privaten Kontext hat, sondern auch für die Gesellschaft, für die Funktion eines ganzen Landes.
Die Frauen von Island erreichten mit ihrem Streik, dass 1976 ein erstes Gesetz zur Gleichberechtigung beschlossen und 1980 eine Frau zur Präsidentin gewählt wurde. Und auch bezüglich des Gender Pay Gaps tat sich Etwas: Bis heute ist der Unterschied der Bezahlung zwischen den Geschlechtern in Island so niedrig wie nirgends sonst auf der Welt und somit steht Island an erster Stelle, wenn es um Gleichstellung geht.
Doch wie steht es heute um die Gleichberechtigung?
Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass Gleichberechtigung und Feminismus auch heute noch wichtige Themen in Island sind. Gerade, wenn es um häusliche oder sexuelle Gewalt geht, unterscheidet sich Island nicht sehr stark vom EU-Durchschnitt. Jede vierte Frau in Island wird Opfer von sexualisierter Gewalt. Und auch wenn Island global gesehen Spitzenreiter bei gleicher Bezahlung ist, verdienen Frauen im Schnitt trotzdem ca. 9 % weniger.
Auch in Deutschland ist die Gleichberechtigung der Geschlechter noch lange nicht erreicht. Frauen verdienen durchschnittlich 16 % weniger als Männer, werden seltener in Führungspositionen eingestellt, leisten mehr unbezahlte Care-Arbeit, sind stärker von Altersarmut betroffen etc. Zudem wurden Frauen in der medizinischen Forschung weitestgehend außen vor gelassen. Symptome sowie Verläufe von Krankheiten und auch die optimale medizinische Behandlung können sich je nach Geschlecht unterscheiden. Diese wurden jedoch in erster Linie bei Männern erforscht. Frauen werden bspw. bei einem Herzinfarkt später behandelt als Männer, wodurch auch das Risiko steigt an einem Herzinfarkt zu sterben. Genannt wird dieses Phänomen Gender Health Gap.
In einem Bericht des Bundesministeriums des Innern heißt es: „Alle vier Minuten erlebt eine Frau Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner.“ (Quelle: Bundesministerium des Innern „Gewalt gegen Frauen“, 12.06.2025). Frauen sind stärker von häuslicher Gewalt betroffen und fast sechs Mal so oft von sexueller Gewalt als Männer. 2023 wurde statistisch gesehen fast jeden Tag ein Femizid begangen, d. h. eine Frau getötet. Der Begriff des Femizids bezeichnet die Tötung einer Frau aufgrund ihres Geschlechts. Hintergrund dessen sind hierarchische Geschlechter- und Machtverhältnisse. Die Bezeichnung zielt darauf ab, die Dimension der Gewalt gegen Frauen zu betonen und zu verdeutlichen, dass es sich hierbei um ein strukturelles und gesamtgesellschaftliches Problem handelt.
Dies alles zeigt, dass der Einsatz für Gleichberechtigung auch heute noch dringend nötig ist und zwar in allen Bereichen.
Der erste Frauenstreik Deutschlands fand am 8. März 1994 statt, bei dem rund eine Millionen Frauen auf die Straße gingen. Und auch für nächstes Jahr am 9. März 2026 wurde zu einem bundesweiten „Streik der Frauen“ für Gleichstellung aufgerufen, inspiriert von dem Beispiel der isländischen Frauen.
Beitrag von Sophie Olligs
Foto: Unsplash
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